55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Ich sage Ihnen, daß ich diese Stunde niemals vergessen werde. Nie, so lange ich lebe, wird es ein anderes Mädchen geben, welches von meinen Lippen berührt werden wird. Der Mund, der Sie geküßt hat, ist geheiligt; er darf nie, nie entweiht werden.“
Sie kniete noch immer vor ihm. War es mädchenhafte Begeisterung, war es ein zarteres Gefühl, oder war es nur die reine Dankbarkeit, von welcher sie fortgerissen wurde – sie legte ihm jetzt beide Hände auf die Schultern und sagte unter der Glut tiefster Errötung:
„Für ein solches Opfer war dieser Kuß zu wenig; das muß ein anderer sein.“
Sie zog des Überraschten Kopf näher an sich, legte ihre Lippen auf seinen Mund und küßte ihn ein-, zwei-, dreimal, so fest und innig, als ob sie seine Geliebte sei. Dann aber sprang sie auf, warf die nach vorn gefallenen Zöpfe über die Schultern und sagte:
„Nun aber kommen Sie. Wir haben lange genug ausgeruht, und es wird Zeit, daß ich nach dem Schloß gehe.“
Auch Fritz erhob sich. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen; er schien zu taumeln. Er sah nicht die Bäume und nicht die Sträucher; er sah nur sie, die Geliebte allein. Er legte beide Hände an den Kopf, um zu sehen, ob er auch wirklich noch er selbst sei, und dann führte er Nanon fort von der Stelle, ohne an den Kräutersack zu denken, der noch am Boden lag.
Die beiden glücklichen Menschen schritten eine Zeitlang schweigend durch den Wald, bis Marions Freundin in lebhafter Erinnerung an das, was er ihr gesagt hatte, die Stille unterbrach:
„Ich erscheine Ihnen also im Traum und zeige Ihnen den Ort, an dem sich Ihre Eltern befinden?“
„Ja, Mademoiselle.“
„Träume sind Schäume, aber zuweilen spricht Gottes Stimme im Traum zu den Menschen. Oh, wäre doch der Ihrige von Gott gesandt! Haben Sie denn gar keine Ahnung, wessen Kind sie gewesen sein könnten?“
„Nein, nicht die mindeste.“
„Hat sich in der Kleidung, welche sie trugen, kein Zeichen gefunden? Haben Sie denn gar nichts, gar nichts bei sich gehabt, was der Vermutung Ihrer Herkunft einen Anhalt geben könnte? Sind denn keine Nachforschungen angestellt, keine Erkundigungen eingezogen worden?“
„Ich habe in einem Pelzchen gesteckt, welches ganz aufgeweicht gewesen und bald verloren gegangen ist. Im Hemdchen und Unterkleidchen sind Zeichen gewesen; da aber alles naß war, so hat meine Pflegemutter beide am Ofen aufgehängt, um sie zu trocknen. Plötzlich ist beim öffnen der Ofentür durch einen unerwarteten starken Windstoß in die Esse die Flamme aus der Feuerung geschlagen und hat sowohl das Kleidchen als auch das Hemd verzehrt. Außerdem hat ein dünnes, goldenes Kettchen an meinem Hals gehangen, mit einem großen Zahn, wie zum Spielen, aber wohl infolge des Aberglaubens, daß solche Mittel das Zahnen der Kinder erleichtern. Dieser Zahn war –“
Nanon wahr in höchster Überraschung stehen geblieben.
„Dieser Zahn war ein Löwenzahn?“ unterbrach sie ihn rasch in einem Ton, aus welchem die Angst erklang, daß Fritz ihre Frage verneinen werde.
„Ich traf einst den berühmten Naturforscher Brehm“, antwortete er; „das heißt, ich hatte ihn zu bedienen und wagte es, ihm den Zahn zu zeigen. Er erklärte ihn sofort für den Reißzahn eines Löwen.“
Da schlug sie die Hände zusammen und rief:
„Mein Gott, ist das möglich? Der Reißzahn eines Löwen! Haben Sie den Zahn noch?“
„Ja. Ich trage ihn am Hals.“
„Zeigen Sie her! Zeigen Sie schnell!“
„Haben Sie einen Grund, ihn sehen zu wollen, Mademoiselle?“ erkundigte er sich.
„Ja, einen sehr triftigen Grund“, antwortete sie. „Also zeigen Sie her, schnell!“
Fritz öffnete die Bluse und die Weste, nestelte ein wenig am Hals und brachte dann ein feines, dünnes Goldkettchen zum Vorschein, an welchem ein großer, gelblichweißer, nach der Spitze zu leicht gebogener Zahn hing. Nanon nahm denselben in die Hand und betrachtete ihn.
„Verstehen Sie etwas von Heraldik?“ fragte sie dann.
„Nein, nichts“, antwortete er.
„Nun, so sehen Sie einmal her! Welche Form hat die goldene Fassung des Zahns?“
„Sie bildet eine Krone, Mademoiselle.“
„Ja, aber nicht etwa eine Phantasiekrone. Es ist ganz genau eine Grafenkrone mit Perlenzacken, und – ah!“
Sie betrachtete den Zahn genauer und untersuchte, mit welcher Festigkeit er in der Fassung steckte. Dann stieß sie einen Ruf der Überraschung aus und sagte:
„Sehen Sie, Monsieur, daß der Zahn sich drehen läßt! Haben
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