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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Fingerzeig auf der Suche nach den Eltern wird mir durch Sie. Sollte mir die Seligkeit beschert sein, jene zu finden, so werde ich Sie als einen Boten Gottes verehren, so lange ich lebe, und bis zu meiner Todesstunde werde ich den heutigen Tag segnen, der mir die Offenbarung gebracht hat, daß wir die Seligkeit nicht allein in der Bibel und nicht nur im Jenseits zu suchen haben.“
    Seine Worte hatten einen herzlichen, inneren Klang. Seine Augen waren mit einem Ausdruck auf Nanon gerichtet, wie der Betende eine Heilige oder die Madonna anschaut. Seine Lippen zuckten leise unter den Gefühlen, welche in diesem Augenblick sein Herz erfüllten. Das Mädchen sah es; es hörte nicht nur den seelenvollen Klang seiner Stimme, nein, es fühlte ihn auch; er drang ihm in die heimlichsten Räume seines Herzens hinab. Und aus diesen Räumen stieg eine Regung empor, so rein und innig, so süß und traut, wie Nanon eine gleiche im ganzen Leben noch nie gefühlt hatte. Sie reichte ihm die Kette mit dem Löwenzahn hin und sagte:
    „Es kann jeder Mensch ein Engel sein, wenn er dem Gebote Gottes folgt, welches Liebe und Erbarmung predigt. Ich würde sehr glücklich sein, falls Ihr Traum durch mich in Erfüllung gehen sollte. Ich bin so gespannt auf die Antwort meiner Freundin, als ob ich selbst das verlorene Kind sei, welches seine Eltern sucht. Wo aber kann ich Sie finden, um Ihnen diese Antwort mitzuteilen?“
    „Bei Doktor Bertrand, bei welchem ich ja wohne, Mademoiselle.“
    „Gut. Sie sollen nicht lange auf mich zu warten haben. Jetzt aber kommen Sie, damit ich endlich den Weg nach dem Schloß finde.“
    Fritz hing die Kette wieder um, führte seine Schutzbefohlene dann weiter und erreichte bald einen gebahnten Weg, aber er verließ Nanon nicht eher, als bis sie sich dem Schloß soweit genähert hatten, daß sie es sehen konnten. Da nahmen die beiden Abschied voneinander. Ihm war zumute, als ob er dem Schloß das höchste, köstlichste Gut der Erde anvertraue, und sie trennte sich von ihm mit der Überzeugung, daß dieser Mann es wert sei, die Gunst des Schicksals in höherem Grad zu erringen als bisher.
    Als die Freundin Marions hinter den Bäumen und Sträuchern des Parks verschwunden war, drehte der Kräutersammler sich um und kehrte langsam in den Wald zurück. Es war ihm, als sei er in der letzten Stunde ein ganz anderer Mensch geworden. Dieses schöne, herrliche Wesen hatte ihn geküßt. Er fühlte den warmen, weichen Druck ihrer Lippen noch jetzt auf den seinigen. Es deuchte ihm, als sei er durch diese Berührung gefeit gegen alles Unglück des Erdenlebens, als habe er eine Weihe erhalten, die ihn berechtigte, sein Auge selbstbewußter aufzuschlagen, als er es bisher getan. Er fühlte eine Spannung in seinem Innern und Äußeren, in seiner Seele und in seinem Körper, einen Drang, seine Kraft zu betätigen, eine Sehnsucht nach Taten, durch welche er der Geliebten ebenbürtig werden könne.
    Der Gedanke, daß der Zahn in eine Grafenkrone gefaßt war, machte dem Nachdenkenden nur wenig zu schaffen. Dieser Umstand konnte ein sehr trügerischer sein und gab ihm noch lange nicht die Berechtigung zu der Annahme, daß er der Sohn eines Grafen sei. Ganz im Gegenteil, der nächste Gegenstand, welcher ihn beschäftigte, war sein vergessener Kräutersack. Denselben wollte er nicht liegen lassen und schritt also der Gegend wieder zu, in welcher der Ort lag, wo er mit Nanon gesessen hatte.
    Dort angekommen, fand er den Vermißten. Er hob den Sack jedoch nicht sogleich auf, um sich mit ihm zu entfernen, sondern er legte sich langsam wieder nieder, gerade an derselben Stelle, auf welcher er vorher gelegen hatte. Und nun stellte er sich vor, daß auch sie wieder da vor ihm auf dem Kräutersack ruhe. Er sah die sanften Züge ihres Gesichtes, den reinen, kindlichen Blick ihrer blauen Augen, er hörte den seelenvollen Ton ihrer Stimme und vergegenwärtigte sich jedes Wort, welches sie gesprochen hatte. Er schloß die Augen und träumte von ihr, träumte so lange, daß er fast erschrak, als er die Augen öffnete und bemerkte, daß es bereits zu dunkeln begann.
    „Sapperlot“, sagte er zu sich, „da liege ich und vergesse meine Pflicht. Ich muß ja nach dem Turm, um dort meinen Posten zu beziehen! Vorwärts, Fritz, das Sinnen führt zu nichts; es muß gehandelt sein!“
    Er erhob sich, warf den Sack auf eine Schulter und verließ den Ort.
    Aber er war doch noch nicht ganz Herr seiner Gedanken, denn er ging in die ganz entgegengesetzte

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