56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
wendete sich der Wirt an den Bezeichneten und fragte:
„Monsieur, warum bringen Sie mir solche Leute in die Stube?“
Der Gefragte war ein noch junger Mann von anständigem Äußern. Er blickte den Wirt von oben bis unten an und fragte:
„Kennen Sie mich?“
„Nein“, lautete die Antwort.
„Nun, so will ich Eure Frage verzeihen. Ich hoffe, daß Ihr ein guter Franzose seid?“
„Das bin ich, Monsieur!“
„Und diese anderen Herren auch?“
„Ja.“
„Habt Ihr von dem Armeelieferant Baron von Reillac gehört?“
„Dem Millionär? Den kennen wir alle, wenigstens seinen Namen.“
„Nun gut. Er ist plötzlich spurlos verschwunden, und ich bin von dem Kaiser beauftragt, nach ihm zu forschen, da man ein Verbrechen ahnt.“
„So seid Ihr wohl Prokurator?“
„Ja. Aus Paris. Wenn ich also diesen Mann hereinkommen lasse, weil ich ihm die Not, den Hunger und den Durst ansehe, so werde ich es wohl verantworten können!“
„Ihr habt recht, Monsieur! Tut, was Euch beliebt. Nur seht zu, daß dieser Mann auch mit Legitimation versehen ist!“
„Das soll sogleich geschehen.“ Und sich zu dem Vagabunden wendend, fügte er hinzu: „Was bist du eigentlich?“
„Ich war Besitzer eines Affen und eines Murmeltieres“, antwortete der Gefragte in seinem savoyardischen Dialekt. „Ich war mit diesen meinen Ernährern bis hinein nach Holland. Da kam ich in die Hände der Preußen, und sie nahmen mir meine Tiere und auch mein Geld ab. Nun bettle ich mich nach Hause!“
„Laß dir auf meine Rechnung zu essen und zu trinken geben, armer Teufel, und setz dich mit her zu mir!“
Der Savoyarde folgte dieser Einladung wie einer, dem ein großes Glück begegnet, und ließ sich das Vorgesetzte vortrefflich schmecken. Der Prokurator ließ sich in ein gleichgültiges Gespräch mit ihm ein, welches zuweilen bis zum Flüsterton herabsank.
„Sind alle beisammen?“ fragte er in einem Augenblick, in welchem niemand auf sie horchte.
„Alle bis auf einen“, antwortete der Savoyarde.
„Und die Werkzeuge?“
„Liegen im Wald, Herr Korporal.“
„Laß den Korporal! Ich wundere mich über die Virtuosität, mit welcher du deine Rolle spielst.“
„Sie ist nicht schwer. Wo treffe ich den Herrn Lieutenant?“
„In dem einsamen Haus am Anfang des Waldes.“
„Welchen Namen führt er?“
„Du fragst nach dem Florian. Das andere findet sich. Die Befehle des Lieutenants bringst du nach dem Rendezvous. Jetzt will ich gehen. Halte auch du dich nicht zu lange hier auf.“
Der vermeintliche Prokurator bezahlte seine Zeche und entfernte sich. Der Savoyarde folgte sehr bald diesem Beispiel. Er hatte das Zimmer noch nicht lange Zeit verlassen, so trat ein neuer Gast ein. Er blickte sich im Kreise um und sagte im vornehmen Ton:
„Ich bin der Kapitän Richemonte und fand den Maire nicht zu Hause. Man sagte mir, daß er hier sei.“
Da erhob sich einer der Anwesenden.
„Der Maire bin ich, Monsieur“, sagte er. „Was wünschen Sie?“
„Eine Auskunft.“
„Ich stehe zu Diensten.“
„Hat sich in letzter Zeit die Einwohnerschaft Ihres Ortes vermehrt?“
„Ja, allerdings.“
„Wie?“
„Wir haben in zwei Wochen eine Geburt gehabt.“
„Pah! Unsinn!“ sagte Richemonte. „Das meine ich nicht, sondern ob vielleicht Fremde bei Ihnen sich niedergelassen haben.“
„Nein, das ist nicht der Fall.“
„Müssen Besuche bei Ihnen angemeldet werden?“
„Ja.“
„Sind solche Anmeldungen eingegangen?“
„In letzter Zeit gar nicht.“
„Gut. Ich suche nach drei Personen, zwei Damen und einem Knecht; die Damen sind Mutter und Tochter. Sie müssen sich in dieser Gegend verborgen halten, und ich würde denjenigen, der sie mir nachweisen könnte, sehr gut belohnen.“
„Würden Sie mir diese Personen beschreiben können?“
„Ist nicht nötig. Die Tochter soll sehr schön sein.“
„Eigentümlich. Heute wird nur immer gesucht. Soeben war ein Prokurator aus Paris da, welcher auch jemand suchte.“
„Ah! Wen suchte er?“
„Einen Baron Reillac, welcher Armeelieferant ist und verschwunden sein soll.“
Der Kapitän verfärbte sich jetzt.
„Wohin begab sich der Prokurator von hier aus?“
„Ich weiß es nicht, Monsieur.“
„Gibt es noch Militär hier?“ fragte der Kapitän weiter.
„Nein. Da der Kaiser gestern die Schlacht bei Ligny gewonnen hat, so wurden die Truppen von hier fortgezogen. Befehlen Sie etwas?“
„Ein Glas Wein.“
Der Kapitän setzte sich und trank seinen Wein
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