56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
nicht.“
„Er ist also wirklich eine so rätselhafte Persönlichkeit?“
„Ja. Niemand kennt ihn. Er sitzt vielleicht unter uns, ohne daß wir es wissen. General Cavaignac ist wohl der einzige, der ihn kennt.“
„Verkehrt er nur mit diesem?“
„Wer weiß das.“
„Und wie heißt er?“
„Auch das weiß niemand. Er ist weder uns, noch unseren Feinden, den Beduinen, bekannt. Sie geben ihm nach ihrer Weise einen Namen, welcher ganz genau sagt, wofür sie ihn halten.“
„Wie heißt dieser Name?“
„'ain el fransawi, daß heißt Auge der Franzosen, oder noch deutlicher, Spion oder Kundschafter der Franzosen. Man will ihn hier oder da gesehen haben; man beschreibt ihn bald als alt und bald als jung, aber man weiß nichts Genaues über ihn. Fragen Sie Cavaignac, den Generalgouverneur. Er kann und wird Ihnen Auskunft geben – wenn er will.“
Im hintersten Winkel des Cafés saß in schlechter, beduinischer Tracht ein Mann, welcher gegen dreißig Jahre zählen mochte. Er hatte auf seinem Stuhl in einer Weise Platz genommen, daß man leicht merken konnte, er sei eher auf Kissen und Matten, als auf Stühlen zu sitzen gewohnt. Sein Bart war dünn. Er starrte mit jener Gleichgültigkeit gerade vor sich hin, welche den fatalistischen Muselmanen eigen zu sein pflegt. Er hatte ein Täßchen Kaffee vor sich stehen und hielt einen Tschibuk in der Hand, aus welchem er dann und wann einen Zug tat, um den Rauch zu verschlucken und dann durch die Nase wieder von sich zu geben. Der Araber nennt diese Art des Rauchens ‚Tabak trinken‘.
„Wer ist dieser Kerl?“ fragte einer der Offiziere den Wirt.
„Ich kenne ihn nicht.“
„Ein Beduine?“
„Jedenfalls, denn er verlangte Pfeife und Kaffee in arabischer Sprache.“
„Vielleicht versteht er uns. Es ist unangenehm, fremde Lauscher in der Nähe zu haben.“
„Versuchen Sie, ob er französisch spricht.“
Der Offizier tat dies. Er wandte sich an den Fremden und sagte französisch:
„Wer bis du?“
„Tugger – ein Kaufmann“, antwortete der Gefragte, indem er nur dieses einzige arabische Wort aussprach.
„Womit handelst du?“
„Fewakih – mit Früchten.“
„Woher bist du?“
„Wadi Dscheddi.“
Wadi heißt im Arabischen sowohl Fluß als auch das Tal eines Flusses. Der Mann war also aus dem Tal des Flusses Dscheddi, welcher seine wenigen Wasser im Süden von Biskra in den Schott Melair laufen läßt.
„Verstehst du Französisch? Ja, wie es scheint?“
„Kahl – wenig.“
„Wo hast du es gelernt?“
„Algier.“
„Ah, du warst in Algier?“
„Na'm – ja.“
„Lange Zeit?“
„La – nein.“
Der Mann hatte seine Antworten mehr durch Gestikulationen als durch die kurzen Worte gegeben, welche er aussprach. Dennoch fragte der Franzose weiter:
„Hast du von dem Mann gehört, welchen ihr 'ain el fransawi nennt?“
„Lissa ma – noch nicht.“
„Bist du reich?“
„Ma li scheh – ich habe nichts.“
„Armer Teufel. Hier, trinke ein Glas Wein.“
Dieses Bedauern war nur scheinbar. Der Offizier wußte recht gut, daß der Beduine als Mohammedaner keinen Wein trinken durfte. Dieser machte auch sofort eine zurückweisende Handbewegung und sagte:
„Kullu Muskürün haram – alles, was trunken macht, ist verboten.“
Es war dies die wörtliche Anführung von dem Verbot Mohammeds.
„So laß es bleiben, und gehe nicht an Orte, wo man Wein trinkt! Weißt du nicht, daß deine Weigerung eine Beleidigung für mich ist?“
„La – nein.“
„So pack dich zum Teufel, oder trink mit. Wir brauchen keinen Maulaffen, welcher nur zuhört, aber nicht mittut.“
Es wäre wohl zu einer unangenehmen Szene gekommen, wenn nicht die Aufmerksamkeit der Franzosen von dem Beduinen abgezogen worden wäre. Der Gehilfe des Kaffeewirtes trat nämlich ein und legte die neuesten Zeitungen auf den Tisch, welche soeben angekommen waren. Hier auf den Höhen des Atlasgebirges waren die Neuigkeiten aus Paris wichtiger als das Anrempeln eines nichtsbedeutenden Arabers, der doch dagegen nichts anderes tun, als sich nur schweigend entfernen konnte.
Die Gazetten waren im Nu auseinander genommen und verteilt, so daß ein jeder mehrere Blätter in den Händen hielt. Man wartete nicht, bis jeder einzelne seine Seiten herabgelesen hatte, sondern sobald etwas Wichtiges entdeckt wurde, gelangte es zur sofortigen Vorlesung; einer der Herren meinte:
„Ich habe jedenfalls das Interessanteste erwischt. Da sind nämlich die Nachrichten über
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