56,3° Im Schatten
Luftballons und Feuerzeuge für das Trottelvolk, das sich von dem ganzen Glumpert auch noch blenden lässt.
Der Biermösel sieht dann beim Schwesternheim eine besonders Verwirrte mit ihren einstmals gewaltigen Ammenbrüsten herumstehen, die heute zu trockenen Säcken verschrumpelt sind, er erkennt ihren ehedem siebzehnjährigen Rassepferdkörper nicht wieder, der zu dem einer neunzigjährigen Bergbäuerin gealtert ist. Die abgelöste Lederhaut und das rotglühende Gesicht lassen den Biermösel sofort erkennen, dass es sich bei der Verzweifelten um keine gebürtige und an die Hitze gewohnte Südländerin handelt, sondern um die blonde Russin Ivana, die der Puffkaiser Schlevsky im letzten Herbst importiert hat und für die sich das Abenteuer „Westen“ scheinbar gar nicht ausgezahlt hat. Dringender denn je sucht sie den Weg zurück nach Hause, wo sie bei ihrer Mutti auf den stählernen Atom-U-Booten der Nordmeerflotte aufgewachsen ist, in denen es schön kühl und frisch ist und wo sich ihre ehemals einmalig weiße Alabasterhaut vielleicht wieder ein bisserl von den schweren Verbrennungen erholen könnte, die ihr die Sonne hier in der Wüste Aussees zugefügt hat, wenn sie nur endlich den Weg nach Hause findet. Aus ihren hervorstechenden Augen liest der Biermösel nichts als nackte Verzweiflung, und zwischen ihren fransigen Lippen heraushört er immer wieder nur das gleiche Wimmern: „Nowaja Semlja?“
„Immer entgegen der ganzen Umleitungsschilder!“, hat der Biermösel schließlich Mitleid mit ihr und lotst sie aus der Falle hinaus, in die er mit seinen sorgsam aufgestellten Umleitungsschildern alle anderen hereingelockt hat, und schon ist sie weg.
Als der Biermösel dann ganz hinten im weitläufigen Gelände ankommt, erkennt er den Siechenheimgärtner Georgij aus Berg-Karabach, der verhungert über dem Lenkrad von seinem Traktormäher zusammengesackt ist. Was einstmals ein Koloss von einem Mann war, ist heute nur noch ein Hautsack voll mit Knochen. Aber zum Mähen gibt es sowieso nichts mehr, weil der ganze einstmals saftige Rasen natürlich längst verbrannt ist und der Biermösel mit seinen Eisenfüßen auf einer leeren und toten Mondlandschaft wandert, auf der es – nach allem, was er jetzt sehen kann – kein Leben mehr gibt, nicht einmal ein Skorpion rennt ihm noch über die Füße.
Oder rührt sich da hinten doch noch was?
Im verbrannten Gras sieht er dann endlich den Alten neben seinem Rollstuhl herumliegen wie den besoffenen Deutschen im Sand von Jesolo neben seinem Handtuch, auf die Hälfte seiner einstmaligen Größe haben sie ihn zusammengeschnitten. Hätte der Alte noch zwei Haxen, täte er jetzt darauf herumspringen, und hätte er noch zwei Arme, dann täte er darauf Räder schlagen, so eine Freude hat er auf einmal am Leben. Nach all den Frostbeulen, die er sich in Stalingrad drüben geholt hat, und nach dem Paar kalter Füße, das er sich bei seiner Alten geholt hat; nach den ganzen kalten Fischen, die er in der Folge gefangen hat, und den vielen eiskalten Engeln, mit denen er sich als Landgendarm herumschlagen hat müssen, tut ihm die Hitze am Ende seiner Tage jetzt sichtlich und hörbar gut. Er schnurrt wie eine zufriedene kleine Katze und gluckst wie ein besoffenes Kind, als er wie ein Kugelblitz zum Biermösel hergerollt kommt und es sich bei seinen Füßen gemütlich macht.
Da ist der Biermösel zutiefst gerührt, dass er doch noch was zustande gebracht hat, womit er seinem Alten eine Freude bereitet, denn wenn er ihm auch – nach allem, was man heute weiß! – keinen Nachfolger gezeugt hat, mit dem er eine noch größere Freude gehabt hätte, so braucht er sich jetzt nicht mehr hinter den Leistungen vom Weiß Ferdl zu verstecken. In bleibender Erinnerung wird dem alten Biermösel und den Klapperschlangen und Skorpionen am Ende nämlich die von ihm befeuerte Hitze bleiben, und nicht der Weiß Ferdl mit seinem „Schö Tem“, das Donnern und Grollen aus seinen Därmen wird länger nachhallen als die Harmonien und Melodien aus der Feder von seinem kleinen Bruder selig.
„Siehst du“, sagt der Biermösel zum Alten, der jetzt wie ein kleines Kind in seinen Armen liegt, nachdem der Biermösel ihn aufgehoben hat. „Siehst du die ganzen brennenden Wälder, die verbrannten und aufgeblähten Katholiken, die Pharisäer und den Dreck und die Nonnen, die euch wie Dreck behandelt haben, siehst du sie? Alles mein Werk, das Werk von deinem … Rotzbuben!“
Aber dann merkt der
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