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57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris

57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris

Titel: 57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Weiß gekleidet. Der schöne Mund war scharf geschlossen, das herrliche Auge gebrochen, die gerundete Wange eingefallen. Auf der einst so elfenbeinernen Stirn spielten gelbgraue Töne, und das Grau des einst so herrlich blauschwarzen Haars hatte seinen Glanz verloren.
    Niemand schien bei der Leiche zu sein, aber unten am Katafalk hatte ein vom vielen Weinen bleicher und matter Knabe gesessen und immerfort geschluchzt:
    „Großmama, meine liebe, traute Großmama!“ Aber als sich die Tür geöffnet, da hatte er sich in die tiefen Falten des Samts versteckt.
    Kunz von Goldberg stieg die Stufen empor und deutete mit der Rechten auf die Tote.
    „Kennen Sie diese hier?“ fragte er mit tiefer Stimme, welcher man nicht abnehmen konnte, ob sie vor Rührung oder vor Gram zitterte. „Ich sagte vorhin, daß Sie mir mehr mitgeteilt haben, als Sie eigentlich beabsichtigten. Sie haben mir eingestanden, daß Sie das Eigentum dieser Hingemordeten durch einen Dritten kauften und den Kaufpreis durch einen Vierten rauben ließen, um ein Werk entsetzlicher Rache auszuüben. Die Hingegangene ist ein Opfer dieser Rache geworden, und auch der, mit welchem sie im Leben verbunden war, ringt mit dem Tod. Ich lege meine Hand auf das erstarrte Herz der Toten und schwöre bei Gott und bei allen Mächten seines Himmels, daß ich nicht ruhen und rasten werde, bis eure Taten an das Licht gebracht sind und ihren Lohn gefunden haben. Graf Rallion, feiger Mörder, wagen Sie es, Ihrem Opfer in das Angesicht zu blicken? Kapitän Richemonte, fühlen Sie beim Anblick Ihrer Schwester nicht den Brand einer Hölle in Ihrem Herzen? Nein, Sie sind ein Teufel und haben diesen Brand nicht zu fürchten. Aber es wird der Tag kommen, an welchem wir im Namen der ewigen Gerechtigkeit mit Ihnen abrechnen, und dann wird sich kein Engel finden, der um Erbarmen für Sie bittet. Gehen Sie, gehen Sie! Es ist hier nicht Raum für Sie und die Leiche dieser Reinen, deren Mörder Sie sind.“
    Er zeigte mit der Linken nach der Tür. Rallion fühlte ein unendliches Grauen in allen seinen Gliedern und wendete sich zum Gehen. Richemonte aber faßte ihn am Arm.
    „Warten Sie!“ sagte er zu ihm.
    Dann ging er langsam näher, stieg die Stufen empor, trat ganz nahe zum Sarge hin und nahm die Leiche mit einem kalt musternden Blicke in Augenschein. Es zeigte sich in seinem Gesicht nicht die mindeste Spur einer Gefühlsregung. Dieser Mensch schien da, wo bei anderen das Herz klopft, welches man ja als Sitz der Empfindungen zu bezeichnen pflegt, eine leere Stelle zu haben. Er hatte die Tote, welche seine Schwester gewesen war, verfolgt, so lange er sie kannte. Und nun sie als Leiche vor ihm lag, war bei ihm von Reue nicht die Rede. Er hatte kein Gewissen.
    Nachdem er sie betrachtet hatte, wie man eine Wachsfigur in Augenschein nimmt, wandte er sich ruhig ab, zuckte die Achsel und sagte:
    „Sie ist nicht zu bedauern. Sie hat trotz aller Mühe, welche ich mir mit ihr gegeben habe, nie erkannt, was zu ihrem Besten dient. Ich habe es nicht glauben wollen, aber es gibt wirklich Menschen, welche alles wollen, alles, nur ihr eigenes Glück nicht.“
    Das war eine Frechheit sondergleichen. Goldberg fühlte sich im tiefsten Inneren darüber empört.
    „Schurke!“ stieß er zornig hervor.
    Richemonte wendete sich an ihn und fragte:
    „Meinen Sie etwa mich, Monsieur?“
    „Ja, Sie! Keinen anderen.“
    „Sie sind nicht zurechnungsfähig.“
    „Und Sie würde ich niederschlagen und dann aus dem Haus werfen lassen, wenn mich nicht ehrfurchtsvolle Scheu vor dieser Toten abhielt, jetzt so etwas zu tun.“
    Da ermannte sich auch Rallion wieder.
    „Herr von Goldberg“, sagte er, „nehmen Sie sich in acht, daß nicht Sie es sind, welcher hier aus dem Haus geworfen wird!“
    „Feigling!“
    Dies war das einzige Wort, mit welchem Goldberg antwortete:
    „Feigling?“ meinte Rallion. „Es hat ein jeder Mensch seine eigene Manier, zu kämpfen. Während andere im Kugelregen fechten, tut der Minierer seine Pflicht unter der Erde, und er ist nicht weniger mutig als die ersteren. Gebhard von Königsau war einst so toll, mich zu fordern. Ich habe diese Aufforderung angenommen, aber ich verzichtete darauf, mit Waffen zu kämpfen, welche ihm als Offizier geläufiger waren als mir. Die Partie wäre ungleich gewesen, und die Entscheidung würde eine ungerechte geworden sein. Ich habe nach anderen Waffen gegriffen; ich habe mit ihnen nicht um das Leben, sondern um seine Existenz gekämpft, und Sie

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