57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris
ungewöhnliche Angst, und diese Angst nahm zu, je lauter der Lärm wurde, und je weniger man sich um sie bekümmerte.
Sie versuchte, sich von ihrem Stuhl zu erheben. Es gelang ihr, aber unter großen Schmerzen. Sie griff sich an der Wand und an den Möbeln hin bis an die Tür, öffnete dieselbe und schob sich hinaus. Einer der Diener kam gerannt und wollte vorüber, ohne sie zu beachten.
„Wilhelm! Wilhelm!“ rief sie. „Was gibt's? Was ist geschehen?“
Erst jetzt bemerkte er sie.
„O Gott, gnädige Frau“, rief er ganz außer sich; „man hat eingebrochen; man hat Sie bestohlen, fürchterlich bestohlen!“
„Eingebrochen? Uns bestohlen? O Gott, was ist es denn, was man gestohlen hat?“
„Alles! Alles! Das ganze Vermögen!“
Es war ihr, als ob sie einen Keulenschlag auf den Kopf erhielte.
„Das ganze Vermögen?“ ächzte sie. „Wieso?“
„Das Kaufgeld, die ganze Kaufsumme, aus dem Koffer, in welchem sie verschlossen war.“
„O – Gott – Gott – Gott – ver – verkauft – ver – verloren – meine – Ah – Ah-Ahn-!“
‚Ahnung!‘ wollte sie sagen, aber sie vermochte nicht, das Wort vollständig auszusprechen; sie brach zusammen.
Der Diener rannte zu Königsau, welcher rat- und fast gedankenlos unter den Seinen stand.
„Gnädiger Herr“, rief er. „Schnell, schnell! Die gnädige Frau ist in Ohnmacht gefallen!“
Alles eilte mit ihm fort; aber Hugo vermochte nicht, ihm zu folgen. Hätten ihn nicht zwei ergriffen und gehalten, so wäre er zu Boden gesunken. Auf diese gestützt, vermochte er erst nach einiger Zeit fortzuwanken, um nach seiner Frau zu sehen. Man hatte sie auf das Ruhebett gebracht; sie schien tot zu sein; ihre Augen waren starr und offen, und vor ihrem Mund stand ein bräunlicher Schaum. Er brach mit einem lauten Aufschrei neben ihr zusammen.
Der Amtmann schickte sofort einen reitenden Boten nach dem Arzt. Als dieser kam, untersuchte er die beiden und erklärte, daß Frau Margot vom Schlag getroffen sei und nur noch einige Tage, vielleicht nur Stunden zu leben habe, bei Herrn Hugo aber sei ein hitziges Fieber im Anzug, welches sein Leben in die größte Gefahr bringen könne; nur die sorgsamste Pflege werde ihn zu retten vermögen.
In diesem Jammer zeigte es sich, was ein zartes Frauenherz vermag, wenn die Wolken des Unglücks sich zu entladen beginnen. Ida, die Schwiegertochter der beiden Kranken, hatte von dem Augenblick an, in welchem sie die Kunde von dem Unglück vernommen kaum ein Wort gesprochen. Ihr ganzes Wesen schien in Tränen erstarrt zu sein, und doch war sie die einzige, welche Ruhe und Fassung zeigte und durch entschiedene Winke erklärte, daß sie die Sorge um die Eltern nur allein auf sich nehme und einem jeden anderen verbiete, sich ihnen zu nahen.
In all diesem Jammer und Wehklagen, in diesem Schreck und dieser Angst war es keinem Menschen eingefallen, an den französischen Gast zu denken. Nur einer dachte an ihn, und der war – ein Kind.
Der kleine Richard hatte noch in seinem Bettchen gelegen, als sich das Rennen und Rufen erhob. Er war neugierig aufgestanden, hatte die Tür geöffnet und blickte auf das Durcheinander hin und her rennender Menschen, ohne zu wissen, was er davon halten solle. Da aber kam einer weinend den Seitenkorridor hervor, einer, von welchem er wußte, daß dieser mit ihm sprechen werde. Es war der alte Kutscher Florian, welcher, vom Schreck auch fast gelähmt, herbeigewankt kam in der Haltung eines Menschen, welcher Mühe hat, seine Gedanken in Ordnung zu halten.
„Florian, Florian!“ rief der Knabe. „Komm her, Florian! Warum eilen diese Leute so?“
Der Alte trat herbei, nahm den Kopf des Knaben zwischen seine Hände, beugte sich nieder, küßte ihn auf das weiche Haar und antwortete weinend:
„Richard, lieber Richard, es ist dir ein großes, sehr großes Unglück geschehen! Die Großmama und der Großpapa –“
Er hielt inne; besann sich, ob es denn auch klug und erlaubt sei, dem Kleinen alles zu sagen.
„Der Großpapa und die Großmama?“ fragte Richard. „Was ist mit ihnen, lieber Florian?“
„Nichts, o nichts! Sie schlafen. Aber man hat ihnen Geld gestohlen, viel Geld, alles Geld!“
Da richtet der Kleine die klugen Augen auf den Sprecher und fragte:
„Deshalb weinst du wohl, Florian?“
„Ja.“
„Man wird das viele Geld wieder bringen müssen!“
„O nein; der Dieb wird es behalten.“
„Wer ist der Dieb?“
„Wir wissen es nicht, aber wir suchen ihn.“
„Wo hat
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