58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
sein.“
„Deine Tochter weiß, daß du nicht gestorben bist!“
„Um Allahs Willen, sie darf es nicht erfahren!“
„Sie weiß es bereits.“
„So soll sie es keinem Menschen sagen.“
„Sie hat große Sehnsucht, dich zu sehen und mit dir zu sprechen.“
„Ich darf nicht mit ihr sprechen. Ich habe geschworen beim höchsten Himmel und bei der tiefsten Hölle, meine Tochter nicht zu sprechen, nie wieder im ganzen Leben.“
„Wem hast du es geschworen?“
„Malek Omar.“
„Dem Mann mit dem grauen Bart?“
„Ja. Er hat das Leben meiner Tochter in seiner Hand. Sie soll nicht sterben, sondern leben bleiben.“
„Kommen auch andere Männer zu dir?“
„Es kommen ihrer viele, und ich beschütze sie.“
„Kennst du auch Abu Hassan, den Zauberer?“
„Ich kenne ihn. Er ist alt und grau geworden; ich habe ihn gesehen an meinem Grab.“
Liama war jedenfalls ihrer Geisteskräfte nicht mehr vollständig Herr. Was Müller jetzt von ihr erfuhr, das gab ihm eine furchtbare Waffe gegen Richemonte in die Hand.
„Wie bist du in diese Höhle gekommen?“ fragte er.
„Ich habe sie mir selbst gewählt.“
„Man hat dich nicht gezwungen?“
„Nein. Ich bin tot und wohne unter meinem Grab.“
„Willst du nicht leben, leben und glücklich sein?“
„Ich bin tot. Ich bin glücklich, wenn mein Kind lebt.“
„Darf ich mir deine Wohnung betrachten?“
Er bemerkte nämlich eine Tür, welche weiterführte. Seine Frage brachte einen ganz unerwarteten Eindruck hervor. Sie sprang an die Tür, stellte sich vor dieselbe und rief:
„Zurück! Zurück! Wer diesen Eingang erzwingen will, der muß eines fürchterlichen Todes sterben und ich mit ihm!“
Müller ahnte, daß diese Tür die Verbindung mit dem Grab und dem Turm herstellte. Er hätte gar zu gern das Geheimnis kennengelernt, aber er hütete sich, dem armen Weib zu schaden. Darum sagte er in beruhigendem Ton:
„Ich will ihn nicht erzwingen. Ich fragte dich nur.“
„Frage auch nicht! Ich darf dir nicht antworten, denn ich habe es geschworen. Verlaß mich! Ich will allein sein.“
„Darf ich nicht wiederkommen?“
„Nein, jetzt nicht.“
„Auch nicht später?“
„Vielleicht. Sage mir dann, was meine Tochter mit dir vom Geist ihrer Mutter spricht.“
„Ich werde dir alles mitteilen.“
„Aber laß es dem mit dem grauen Bart nicht wissen!“
„Nein. Wirst du ihm sagen, daß ich hier gewesen bin?“
„Nein, denn sonst würde er dich erwürgen. Nun aber gehe! Allah sei mit dir!“
Sie schob ihn zur Tür hinaus und verriegelte sie dann von innen. Fritz war von ihr gar nicht gesehen worden. Die beiden Männer tappten sich im Dunkeln fort, und Müller zog erst dann die Laterne hervor, als sie den Kreuzgang erreicht hatten. Auch hier erst begann er zu sprechen.
„Hast du alles gehört?“ fragte er.
„Alles!“
„Welch eine Entdeckung! Welche Waffe gegen den Kapitän gibt sie mir in die Hand!“
„Er ist verloren, sobald Sie wollen.“
„Ja, aber ich darf noch nicht wollen.“
„Warum nicht? Solches Ungeziefer muß man sofort vertilgen. Es leben zu lassen ist Sünde.“
„Und dennoch darf ich nicht – meines Vaters wegen.“
„Ihres Vaters wegen?“ fragte Fritz ganz erstaunt.
„Ja.“
„Der ist wohl jedenfalls tot.“
„Nein; er lebt.“
„Himmel! Wo sollte er sein?“
„Hier in diesen Gewölben.“
Der gute Fritz machte ein Gesicht, als ob er überzeugt sei, daß er jetzt seinen Verstand verlieren werde.
„Hier in diesen Gewölben? Kreuzmillionendonnerwetter! So muß er heraus, und zwar sofort! Wo steckt er denn? Die Schlüssel haben wir!“
„Noch kann ich das nicht sagen. Daß er hier ist, vermute ich, gewiß ist es noch nicht. Und befindet er sich hier, so sind wir ihm gerade in diesem Augenblick jedenfalls sehr nahe. Laß uns hier an diesem Ort einmal suchen, ob wir ein verborgenes Gefängnis zu entdecken vermögen.“
Er erinnerte sich genau der Worte, welche der kranke Baron im Speisesaal gesprochen hatte. Hier dieser Kreuzgang war der Mittelpunkt aller Gewölbe; hier mußte sich der Gesuchte finden, wenn er überhaupt sich hier befand.
Die beiden forschten und boten allen ihren Scharfsinn auf, allein vergebens. Es war nichts zu entdecken.
„Wir haben ja noch keine einzige der vielen Türen geöffnet“, sagte Fritz. „Vielleicht ist er da irgendwo versteckt.“
„Das glaube ich nicht. Aber wissen müssen wir freilich, was sich hinter diesen Türen befindet. So wollen wir also einmal
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