58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
Menschen einen Einfluß oder gar ein Recht über mich ein!“
Das war dem Alten zu viel. Er trat einen Schritt auf sie zu und donnerte:
„Das wagst du mir zu sagen, mir, mir.“
„Ja, dir“, antwortete sie kalt.
„Du ahnst es nicht, welche Mittel ich habe, dich zu zwingen!“
„Du kannst nicht ein einziges haben!“
„Du bist ruiniert, wenn du nicht gehorchst!“
„Wohl! Ich werde das zu tragen wissen!“
„Deine Familie ist ebenso ruiniert!“
Da schüttelte sie mit einer wahrhaft königlichen Bewegung den Kopf und antwortete, indem sich ein geringschätziges Lächeln um ihre Lippen zeigte:
„Ich bitte dich dringend, solche verbrauchten Theatercoups zu vermeiden. In Romanen und auf der Bühne kommt es vor, daß eine Tochter, welche ihre Familie liebt, um diese vor dem Untergang zu retten, ihre Hand einem ihr verhaßten Mann gibt. Hier aber spielen wir nicht Theater, und sodann habe ich auch keine Veranlassung, meiner Familie ein solches Opfer zu bringen.“
„Ungeratene Person! Weißt du, daß wir dich aus dem Haus stoßen können?“
„Tut es! Dann bin ich frei. Das ist es ja, was ich wünsche!“
„Ah!“ knirschte er. „Frei! Frei willst du sein. Du gibst mir gerade das Mittel, dich zu zähmen, in die Hand. Ich werde dich einsperren, bis du dich fügst!“
„Das darfst du nicht. Das Gesetz bestraft die unerlaubte Freiheitsberaubung.“
„Was frage ich nach dem Gesetz. Hier gilt einzig und allein mein Wille. Den deinigen werde ich zu brechen wissen. Du hast mir sofort zu sagen, ob du mir gehorchen willst.“
Die Baronin hatte Widerwillen erwartet, aber keinen Widerstand. Sie erhob sich, besorgt, über die Szene, welche sich jetzt entwickeln werde. Der Alte hatte sich bei den letzten Worten Marion noch um einen Schritt genähert. Sie zeigte dennoch keine Spur von Frucht, sondern sie antwortete ohne die mindeste Scheu:
„Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.“
„So kommen die Folgen über dich! Zeig her, Mädchen!“
Er wollte mit beiden Händen nach ihr fassen, fuhr aber mit einem lauten Schreckenslaut zurück. Auch die Baronin sprang in die äußerste Ecke des Zimmers. Marion hatte die rechte Hand in der Tasche gehabt. Als der Alte sie erfassen wollte, zog sie dieselbe hervor: eine große Brillenschlange fuhr ihm mit weitgeöffnetem Rachen entgegen.
„Was ist denn das?“ rief er. „Woher ist die Bestie?“
„Ein Gruß aus Algerien ist es“, antwortete sie. „Fasse mich an, wenn du den Mut dazu hast.“
„Ah! Du hast mit Abu Hassan, dem Zauberer, gesprochen!“
„Ja“, antwortete sie.
„Wohin ist er?“
„Suche ihn! Und nun zwinge mich, den Obersten zu heiraten.“
Sie drehte sich um und verließ das Zimmer. Jetzt erst atmete die Baronin wieder auf.
„Mein Gott“, rief sie. „Welch ein Auftritt. Welch ein Affront. Dieses Mädchen wagt es, ein so giftiges, scheußliches Tier anzurühren.“
Der Alte wendete sich zu ihr und sagte:
„Jammern Sie nicht. Dieses Mädchen hat mich überrumpelt. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß es geschehen ist. Die Schlange ist nicht giftig; die Zähne sind ihr genommen; sie würde zunächst ihre Trägerin beißen und töten.“
„Warum flohen Sie denn?“
„Die Überraschung. Aber es soll ihr nichts nützen. Wann und wo hat sie mit diesem Abu Hassan gesprochen? Was hat er ihr erzählt? Das muß ich wissen! Das muß ich erfahren.“
„Kennen Sie diesen Menschen?“
Jetzt erst merkte er, daß er sich eine Blöße gegeben hatte. Darum fuhr er sie zornig an:
„Was geht Sie das an! Gehen Sie! Gehen Sie zu der Dirne, und sagen Sie ihr, daß ich ganz bestimmt erwarte, daß sie bis zur Dämmerung des heutigen Tages ihren Entschluß ändere. Tut sie das nicht, so wird sie einsehen müssen, daß ich viel mächtiger bin als sie.“
Er schob die Baronin zur Tür hinaus und verschloß die letztere hinter sich. Niemand wußte, was er jetzt vornahm. Und selbst, als nach einiger Zeit der Graf klopfte, wurde nicht geöffnet, sondern es ertönte nur die Frage:
„Wer ist draußen?“
„Ich, Graf Rallion.“
„Was wollen Sie?“
„Antwort!“
„Warten Sie bis zur Dämmerung. Ich habe jetzt keine Zeit.“
Der Graf mußte ohne Resultat zurückkehren. –
Als Marion in ihr Zimmer kam, fand sie dort Nanon ihrer harrend. Diese hatte natürlich den Befehl des Alten vernommen und ahnte, daß die Freundin des Trostes bedürfen werde.
„Mein Gott, wie bleich du bist!“ rief sie ihr entgegen. „Was ist
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