58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
geschehen?“
„Was ich längst erwartete.“
„Oberst Rallion?“
„Ja, liebe Freundin.“
„Dein Großvater verlangte es, und was hast du geantwortet?“
„Das, was ich mir vorgenommen hatte: Ich werde nie Gräfin Rallion sein.“
Sie setzte sich neben Nanon auf das Sofa. Die Freundin brannte vor Neugierde, über die stattgefundene Szene unterrichtet zu werden, sagte aber doch vorher:
„Weißt du, was du über den Obersten sagtest, als du ihn zum ersten Mal gesehen hattest?“
„Nun?“
„Er sei nicht übel.“
„Weiter nichts?“
„Er erscheine galant, ja chevaleresk. Und nun?“
„Das war nicht ein Urteil von mir, sondern ich hatte nur die Absicht, den ersten Eindruck zu bezeichnen, den er auf mich machte.“
„Und dieser Eindruck hat sich verwischt?“
„Vollständig. Der Oberst ist ein Laffe, und nicht nur das, sondern er erscheint mir jetzt als ein herz- und gewissenloser Mensch. Und sein Vater macht einen Eindruck auf mich, der mich zum Fürchten bringen könnte. Denk an das Verhalten des Obersten gegen diesen armen, braven Doktor Müller.“
Nanon nickte.
„Ihm sein Gebrechen vorzuwerfen, an welchem er so schuldlos ist!“
„Müller hat die Beleidigung nur aus Rücksicht für mich so ruhig hingenommen. Er ist ein außerordentlicher Mensch. Er zwingt mir, trotzdem er bloß Lehrer ist, die allergrößte Achtung ab.“
„Und dazu seine sonderbare Ähnlichkeit mit – mit deinem Ideal“, bemerkte Nanon lächelnd.
„Es mag sein, daß dieses Naturspiel einen ganz unwillkürlichen Eindruck äußert; aber auch abgesehen davon, ist dieser Müller ein Mann, den man achten und vielleicht sogar – lieben könnte, wenn –“
„Nun, wenn?“
„Wenn er nicht – nicht –“
„Wenn er nicht nur Lehrer und noch dazu bucklig wäre?“
„Das allerdings. Er hat einen ganz eigenartigen Eindruck auf mich gemacht. Es ist mir oft, als wenn ich ihn umarmen müsse. Dir als meiner innigsten Freundin darf ich das sagen. Ich könnte ihm mein Leben, meine Seele anvertrauen.“
„Oh weh. Und das Ideal?“
Marion blickte trübe vor sich hin.
„Es wird mir unerreichbar bleiben“, sagte sie. „Wo ist er, den ich damals gesehen habe? Wo ist er? Ist er Mann, ist er Jüngling? Es ist eine Torheit, sein Herz an ein Phantom zu hängen. Ich bestehe jetzt aus zwei Einzelwesen, die ich nicht begreife. Die Wirklichkeit wird mich leider bald zur Selbsterkenntnis bringen. Ich fürchte, daß ich einer trüben Zeit entgegengehe.“
Da legte Nanon den Arm um die Freundin und sagte:
„Ich werde mit dir dulden, ich werde dich nicht verlassen.“
„Ja, du Liebe, du Gute, das wirst du. Ich muß leider annehmen, daß der Großvater auf Schlimmes sinnt. Er ist höchst rücksichtslos und gewalttätig. Er wollte mich einsperren.“
„Einsperren? Mein Gott, wie bist du dem entgangen?“
„Ich habe ihm gedroht.“
„Womit?“
„Mit dem Gesetz.“
Das war allerdings wahr, aber die volle Wahrheit wollte sie doch nicht sagen. Der Besitz der Schlange war der Freundin bisher noch Geheimnis geblieben.
„Dieses Gesetz wird dich schützen“, sagte Nanon.
„Wenn ich Gelegenheit habe, es anzurufen. Wenn man sich meiner aber plötzlich bemächtigt, wie will ich da Zuflucht zu dem Richter finden?“
„Ich würde Anzeige machen.“
„Wer weiß, ob es fruchten würde. Wie waren wir vor kurzer Zeit noch so glücklich. Und jetzt? Weißt du, wie Müller mit mir ins Wasser sprang?“
„Und der andere mit mir“, fügte Nanon schnell hinzu.
„Jetzt ist es mir, als ob mir ein ganz ähnliches Unwetter, eine ganz gleiche Gefahr nahe sei. Und wenn ich während des Unterrichts bei dem Bruder sitze und des Müllers Augen ruhen forschend auf mir, so ist es mir, als ob ich mich ihm auch in dieser Gefahr anvertrauen könne und müsse.“
„Ist das nicht phantastisch, liebe Marion?“
„Was nennst du phantastisch? Gehören Gefühle in das Reich der Wirklichkeit oder der Phantasie? Willst du mich deswegen belächeln, weil ein einfacher Hauslehrer einen solchen Eindruck auf mich macht, daß ich stets und immer an ihn denken muß?“
„Nein. Er ist ja dein Lebensretter und hat auch deinen Bruder gerettet.“
„Und sodann, wenn er so still an der Tafel sitzt, oder wenn er sich so sicher mitten unter uns bewegt, so ist es mir, als ob er alles beherrsche, und als ob selbst der Großvater Furcht vor ihm haben müsse. Ich begreife mich eben nicht – ich, und er, ein Lehrer.“
Da legte Nanon das Köpfchen
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