58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
gnädiges Fräulein!“
Da wendete der Alte sich ihm drohend zu:
„Wenn ich es Ihnen nun verbiete?“
„Wollen Sie die gnädige Komtesse ohne Begleitung nach einem solchen Ort gehen lassen, Herr Kapitän?“
Der Alte griff an den Schnurrbart, zupfte heftig an den Spitzen desselben und antwortete dann:
„Gut! Es mag sein! Läßt sie sich nicht halten, so ist es allerdings besser, Sie reiten mit. Aber in Zukunft werde ich mir besseren Gehorsam zu verschaffen wissen. Kommen Sie, Doktor!“
Zwei Minuten später ritten sie im Galopp davon. Sie schlugen einen Feldweg ein, der sie viel schneller zur Bahn brachte, als die Straße, welcher sie durch die ganze Stadt hätten folgen müssen. Sie erreichten den Damm an der Unglücksstätte, sprangen von den Pferden, ließen diese unten stehen und stiegen hinauf und drüben wieder hinab, wo sie empfangen wurden, der alte Kapitän von dem Offizier, der ihn natürlich kannte, und der Doktor von seinen beiden Kollegen, welche sich freuten, an ihm eine so bewährte und höchst notwendige Hilfe zu finden.
Bertrand hatte sein Besteck stets bei sich, so auch jetzt. Er griff sofort mit zu.
Vor einem Mann, dem das Bein schauderhaft zerquetscht war, kniete die Gestalt eines schönen Mädchens. Er trat hinzu und ließ sich neben ihr nieder.
„Der Ärmste“, sagte sie. „Er ist vor Schmerz besinnungslos.“
„Wohl ihm!“ antwortete Bertrand. „Lassen wir ihn! Hier können wir ihm nicht helfen. Das Bein muß amputiert werden.“
Er erhob sich wieder, und sie tat dasselbe. Jetzt erst konnte er ihr voll in das Gesicht blicken.
„Ist es möglich!“ sagte er im Ton höchster Überraschung. „Das kann keine bloße Ähnlichkeit sein. Sie sind –“
Er stockte, blickte sich vorsichtig um, ob seine Worte gehört werden könnten, und fuhr dann leise fort:
„Sie sind Fräulein von Königsau?“
„Ja“, nickte sie lächelnd. „Und Sie sind Herr Doktor Bertrand, der im unglücklichen Jahr Sechsundsechzig –“
„Von Ihrem Herrn Bruder gerettet wurde und dann auch die Ehre hatte, Sie zu sehen. Aber, um Gottes willen, dürfen Sie wagen, nach hier zu kommen?“
„Ich muß es wagen und habe, offen gestanden, dabei auch ein wenig auf Sie gerechnet.“
„Ich stelle mich Ihnen ganz und gar zur Verfügung!“
„Ich wollte zu Ihnen nach Thionville, erlitt aber hier leider diesen entsetzlichen Unfall, dessen Folgen –“
„Wie?“ unterbrach er sie erschrocken. „Sie waren mit in dem verunglückten Zug?“
„Allerdings, Herr Doktor. Aber ziehen wir meine persönlichen Angelegenheiten nicht diesen Unglücklichen vor, welche unserer Hilfe so sehr bedürfen! Darf ich um eine kurze Gastfreundschaft in ihrem Haus bitten?“
„Oh, gewiß, mein gnädiges Fräulein.“
„So wissen Sie zunächst, daß ich eine Engländerin aus London bin und Harriet de Lissa heiße.“
„Weiß Ihr Herr Bruder, daß Sie kommen?“
„Kein Wort.“
„Und sein Diener, mein Kräutersammler, den ich dort sehe?“
„Mit ihm habe ich mich bereits verständigt. Nun aber zunächst zu unseren Hilfsbedürftigen.“
Nach diesen kurzen Unterhaltungsworten, welche allerdings höchst notwendig gewesen waren, nahmen sie ihre erstere Beschäftigung wieder auf.
Der Offizier hatte dem Alten die Hand entgegengestreckt und nach dem gewöhnlichen Gruß die Frage ausgesprochen:
„Auch Sie haben bereits von dem Unfall gehört?“
„Ja. Leider ist es nicht nur ein Unfall zu nennen. Die Bezeichnung, welche hier die richtige wäre, kann gar nicht gefunden werden.“
Dabei blickte er sich um und tat, als ob er sich eines Schauderns gar nicht erwehren könne.
„Leider!“ antwortete der Offizier. „Diese Leiden und diese Verstümmelungen! Es ist schauderhaft!“
„Wer hat das Unglück verschuldet? Das Zugpersonal?“
„Nicht im geringsten! Man hat Steine auf die Schienen gelegt, eine ganze Anzahl großer Steine.“
„Entsetzlich! Gewiß nur Buben, welche ihre teuflische Freude an solchen Zerstörungen haben. Und da mußte es einen Personenzug treffen.“
„Das war ja beabsichtigt!“
„Beabsichtigt?“ fragte der Alte im Ton des Erstaunens.
„Ja. Der Zug sollte verunglücken, damit man einen geplanten Raub ausführen könne.“
„Ist so etwas möglich?“
„Ja, es gibt solche Teufels! Aber wir haben die Kerle glücklicherweise gefangen.“
Die Augenwinkel des Kapitäns zogen sich für einen kurzen Augenblick zusammen, aber eben nur für einen ganz kurzen Augenblick; dann sagte
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