59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
Bad verlassen und Wäsche und Kleider von Doktor Bertrand angelegt, dessen Statur er hatte. Er saß ganz allein auf dem Sofa und hatte eine Tasse Boullion vor sich stehen.
Müller blickte nur zur Tür herein, schloß diese dann wieder und ging in das Familienzimmer, wo alle außer Marion und deren Mutter beisammen waren.
Schneffke erzählte sein Bahnhofsereignis noch einmal. Das gab Müller Gelegenheit, seine Schwester an das Fenster zu winken.
„Liebe Emma, ich muß dich auf ein wichtiges Ereignis aufmerksam machen, von welchem Marion noch nichts wissen darf“, sagte er.
„Was ist es?“
„Du wirst in Herrenbegleitung nach Berlin zurückkehren.“
„Natürlich! Du fährst doch wohl mit!“
„Noch einer.“
„Fritz!“
„Noch einer.“
„Schneffke?“
„Noch einer.“
„Du meinst Deep-hill?“
„Ja, aber noch einen.“
„Ich weiß weiter keinen.“
„Ich meine den, welchen ich heute befreit habe.“
„Auch er will nach Berlin?“
„Ja. Ich wünsche, dich ihm vorzustellen. Hast du Zeit?“
„Jetzt gleich?“
„Ich möchte es nicht für später aufschieben.“
„So komm!“
Sie gingen. Als sie bei ihm eintraten, befand er sich noch auf seinem Sitz. Ein wohliges Lächeln schwebte auf seinem eingefallenen, leidenden Angesicht. Bart und Haar waren in Ordnung gebracht, und nun machte er einen ehrwürdigen und sogar vornehmen Eindruck. Als er die beiden erblickte, streckte er Müller die Rechte entgegen und sagte:
„Mein Retter! Nun ich mich von den schlimmen äußeren Anhängseln des Elends befreit sehe, fühle ich doppelt, was ich Ihnen zu danken habe. Wen bringen Sie mir da?“
„Eine Freundin dieses Hausen, Miß Harriet de Lissa, welche wünscht, Ihnen ihre herzliche Teilnahme zu erweisen.“
„Ich danke Ihnen, Miß. Es tut unendlich wohl, in ein gutes Menschenantlitz blicken zu dürfen, nachdem man über ein Dezennium hinaus nur die Züge eines teuflischen Schurken gesehen hat. Nehmen Sie Platz!“
Dabei war sein Auge mit sichtlichem Wohlgefallen auf das schöne Mädchen gerichtet.
„Sie meinen Kapitän Richemonte?“ fragte Emma.
„Ja. Ihm habe ich und haben all die Meinen unser ganzes Unglück zu verdanken.“
„Er scheint der Teufel mehrerer Familien zu sein. Ich lernte in Berlin eine Familie kennen, die er mit wirklich satanischer Lust verfolgt hat und auch wohl noch verfolgt.“
„In Berlin?“ fragte er, aufmerksam werdend. „Darf ich den Namen dieser Familie wissen?“
„Königsau.“
Sein Gesicht nahm fast eine rote Färbung an.
„Königsau!“ sagte er. „Sind Ihnen die Glieder dieser Familie bekannt?“
„Ja.“
„Es gab einen Königsau, welcher ein Schützling des berühmten Blücher war.“
„Ja, das ist Großvater Königsau.“
„Und sein Sohn?“
„Der ist spurlos verschwunden.“
„Hat man nicht nach ihm geforscht?“
„Oh, wie sehr! Leider aber vergeblich.“
„Lebt seine Frau noch?“
„Nein. Sie ist kürzlich gestorben.“
Er nagte eine Zeitlang an der Lippe, um nicht merken zu lassen, wie ihn diese Botschaft erschüttere. Dann sagte er:
„Vielleicht irren Sie sich, Miß? Sie war eine geborene Gräfin Ida de Rallion.“
„Ja, sie ist es doch, ich weiß es ganz genau“, antwortete sie traurig. „Auch Sie scheinen die Familien zu kennen?“
„Vor Jahren stand ich ihr sehr nahe. Ich glaube, Gebhard von Königsau hatte zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen?“
Sie nickte ihm bejahend zu. Darum fragte er weiter.
„Leben Sie noch?“
„Sie leben beide.“
„Ich möchte wohl wissen, was aus ihnen geworden ist.“
„Nun, Richard, der Sohn, ist Rittmeister bei den Gardeulanen.“
„Ah, das läßt sich hören!“ sagte er, indem sein Gesicht sich freudig aufhellte. „Hat er Aussicht auf Avancement?“
„Man sagt, daß er im höchsten Maß das Vertrauen seiner Vorgesetzten besitze.“
„Das freut mich herzlich. Und die Tochter? Hieß sie nicht Emma? Sie wird sich längst verheiratet haben.“
„Nein; sie ist noch unvermählt und wird es bleiben, falls ihr verschwundener Vater verschollen bleibt.“
„Das gute Kind. Sie braucht nicht zu entsagen, denn ihr Vater kehrt zurück.“
„Wie? Er kehrt zurück?“ fragte sie hastig.
„Ja“, lächelte er. „Ich bin überzeugt davon.“
„Mein Gott! Haben Sie Grund, dies zu sagen?“
Er nickte ihr lebhaft zu und antwortete:
„Sogar einen sehr guten Grund.“
Da sprang sie von ihrem Sessel auf und bat schnell:
„Sagen Sie ihn! O bitte, sagen Sie
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