59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
den Arm um seinen Vater und trieb die Pferde an.
„Fritz, komm baldigst nach“, sagte er noch.
„Sehr wohl, Herr Doktor!“
Als später der Wagen vor Doktor Bertrands Tür hielt, wollte Marion den Schlag öffnen, um zuerst auszusteigen, aber da sagte eine bekannte Stimme:
„Bitte, Mademoiselle, das kommt mir zu.“
Müller hörte das und traute seinen Ohren nicht.
„Fritz“, sagte er.
„Herr Doktor?“
„Du hier?“
„Ja.“
„Wie kommst du so schnell hierher?“
„Ich habe mich hinten festgehalten und bin mit fortgetrabt. Das geht ganz prächtig, viel besser, als wenn man auf dem Bock sitzt.“
Recht gelegen trat jetzt der Arzt aus der Tür.
„Herr Doktor“, fragte ihn Müller, „haben Sie nicht ein separates Zimmer für diesen Herrn? Er ist Patient.“
„Ein allerliebstes Zimmerchen, gerade neben demjenigen, welches Sie für heute bekommen werden.“
„Schön! Bitte, bringen Sie ihn sofort hinauf. Er ist so angegriffen, daß er der Ruhe bedarf.“
Müller hob seinen Vater vom Bock, Bertrand bot demselben den Arm und brachte ihn in das erwähnte Zimmer. Hier brannte Licht, und nun erst bemerkte der Arzt, in welchem Zustand sich sein Patient befand.
Schon unterwegs war ihm der penetrante Geruch, der von diesem ausging, aufgefallen.
„Mein Gott!“ sagte er. „Sie sind ja fast unbekleidet! Woher kommen Sie?“
„Ich war gefangen“, seufzte der Gefragte.
„Wo?“
„In einem unterirdischen Loch in Ortry.“
„Was? Wirklich? Wer nahm Sie gefangen?“
„Der Kapitän.“
„Wie lange waren Sie da?“
„Sechzehn Jahre.“
„Herrgott! Widerrechtlich?“
„Gewiß!“
„Bitte, darf ich Ihren Namen hören?“
„Gebhard von Königsau.“
Der Arzt fuhr zurück. Dann fragte er:
„Wer hat Sie befreit?“
„Ein Herr Doktor Müller.“
„Dieser Herr ist wohl ein Bekannter von Ihnen?“
„Ich kenne ihn nicht.“
Nun wußte der Arzt, daß Müller sich noch nicht zu erkennen gegeben hatte und daß auch er schweigen mußte.
„Gedulden Sie sich einen Augenblick“, bat er. „Ich kehre sogleich zurück.“
Wenige Minuten später kam er mit dem Apotheker, welcher eine Badewanne trug. Das Hausmädchen brachte heißes Wasser. Königsau mußte vor allen Dingen ein Bad nehmen.
Unterdessen war Müller mit Marion und ihrer Mutter nach oben gegangen. Dort waren die Engländerin, der Amerikaner, Nanon und Madelon beisammen. Die Frau des Arztes befand sich bei ihnen.
Diese letztere sprang, als sie Liama erblickte, leichenblaß von ihrem Stuhl auf und rief:
„Alle guten Geister – – –! Wer ist das? Wen bringen Sie da?“
„Kennen Sie diese Dame nicht?“
„Freilich kenne ich Sie! Die Frau Baronin von Sainte-Marie!“
Dieser Name brachte kein geringes Aufsehen hervor. Alle drängten sich um sie und stürmten mit Fragen auf sie ein. Doch Müller nahm sie in seinen Schutz und sagte:
„Bitte, meine Herrschaften, diese Dame ist zu sehr angegriffen, als daß sie Ihnen Rede und Antwort stehen könnte. Übrigens muß ich bemerken, daß diese Angelegenheit ganz unter uns, das heißt, Geheimnis bleiben muß. Kommen Sie, Frau Baronin; folgen Sie mir in das Zimmer Miß de Lissas! Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.“
Während nun Marion den Zurückbleibenden ihre Einkerkerung und Rettung erzählte, führte Müller Liama in dem genannten Zimmer zum Sofa und nahm ihr gegenüber Platz.
„Darf ich fragen“, sagte er, „ob Sie einiges Vertrauen zu mir haben können?“
Er sagte das in arabischer Sprache, die er von seinem Vater gelernt hatte. Liama war freudig bewegt, so unerwartet die heimatlichen Laute zu hören, und antwortete:
„Alles, alles will ich Ihnen sagen.“
„Nicht wahr, Sie sind eine Tochter des Stammes der Ben Hassan?“
„Ja. Mein Vater Menalek war der Scheik desselben.“
„Sie kannten einen Angehörigen dieses Stammes, welcher Saadi hieß?“
Ihre Augen leuchteten auf.
„Er war mein Geliebter, mein Verlobter, mein Mann“, antwortete sie.
„Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?“
„Hier in Ortry.“
„Nicht damals, als er von Ihnen gerissen wurde als Gefangener der Franzosen?“
„Nein. Ich wollte ihn und den Vater retten, indem ich mit dem Fakihadschi Malek Omar und seinem Sohn Ben Ali fortging. Beide heißen jetzt Richemonte und Sainte-Marie.“
„Sie wurden aber von ihnen betrogen?“
„Ja. Die Unseren wurden trotzdem niedergemacht. Mein Vater war tot; aber als die Franzosen fort waren, zeigte es sich, daß in
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