59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
Seine Hand bewegte sich nach der Brust und griff nach dem Heft des Messers. Da schien er zu erkennen, in welcher Lage er sich befinde.
„Agnes“, flüsterte er.
„Vater! Hast du Schmerzen?“
Ihr Blick war mit entsetzlicher Angst auf ihn gerichtet. Sein Gesicht wurde fahl; das Blut war aus seinen Lippen gewichen.
Kaum hörbar sagte er:
„Vater Main war es.“
„Vater Main? Wer ist das denn?“
„Und Lermille, der Bajazzo.“
„Gott, mein Gott! Sie haben dich verwundet. Sie wollten dich töten.“
Sie griff nach dem Messer.
„Nein“, sagte er mit abwehrender Gebärde. „Hier habe ich – oh, sie ist fort.“
Er hatte nach der Stelle gefühlt, an welcher sich die Brieftasche befunden hatte.
„Was? Was ist fort?“
„Das Geld. Sie haben mich beraubt.“
„Mein Heiland! Hilf Himmel, ich vergesse die Hauptsache; ich muß fort, um Hilfe zu holen.“
Sie fuhr empor, um fortzueilen. Er aber hielt sie durch einen Ausruf zurück.
„Warte, warte“, erklang es stöhnend. „Ich muß, muß, muß dir – – –“
Einige Tropfen Blut quollen zwischen seinen Lippen hervor. Sie sah es und schrie laut auf.
„Agnes“, röchelte er. „Komm – höre mich.“
Sie merkte, daß er ihr etwas sagen wolle. Sie nahm alle ihre Kraft zusammen, um nicht niederzustürzen. Sie kniete neben ihm hin und fragte:
„Was willst du? Sage es.“
„Ich – – – ich heiße – nicht – – – nicht Lemartel.“
„Wie denn“, fragte sie schluchzend.
„Henry – – – o – mein – mein Gott! Daheim in – Paris – Geldschrank – Papier lesen – – –“
Er hatte das mit fürchterlicher Anstrengung hervorgestoßen, dann sank sein Kopf nach hinten. Ihre Angst erreichte den höchsten Grad. Sie raffte sich auf, stürzte nach der Tür, riß diese auf und schwankte hinaus.
„Hilfe! Mörder!“ schrie sie auf.
Dann brach sie zusammen.
Ihr Ruf wurde gehört. Die Bedienung eilte herbei. Eine Minute später hatte die Schreckenskunde von dem Geschehenen sich durch das ganze Hotel verbreitet. Alles eilte herbei. Unter diesen Leuten befand sich auch ein Militärarzt. Er untersuchte Agnes und sagte:
„Sie ist ohnmächtig. Schafft sie fort und sorgt für sie. Sie darf vorerst die Leiche nicht zu sehen bekommen.“
Diesem Befehl wurde sofort Folge gleistet. Dann trat er in das Zimmer und untersuchte auch Lemartel. Seine Miene verkündete kein freudiges Ergebnis. Dieses letztere lautete:
„Er ist noch nicht tot. Die Klinge ist in der Nähe des Herzens eingedrungen. Sobald das Messer herausgezogen wird, muß sich ein Blutstrom ergießen, und er stirbt.“ –
Die beiden Mörder waren unangefochten aus dem Hotel entkommen. Sie mußten zu dem Juden, machten aber einen Umweg, um etwaige Nachforschungen irrezuleiten.
Sie begaben sich zunächst nach dem Gouvernementsplatz, dann am Artillerie-Train vorüber nach der Straße, welche sich in der Richtung der Zivil- und Militärintendanz teilt. Sie ließen die erstere zu ihrer Rechten und schritten auf die letztere zu. Dort angekommen, bemerkten sie eine ungewöhnliche Volksmenge, welche laute freudige, ja begeisterte Ausrufe hören ließ.
„Hurra, hurra! Es lebe der Kaiser! Nieder mit Deutschland. Rache für Sadowa! Nieder mit Bismarck.“
Diese Rufe veranlaßten sie, stehenzubleiben.
„Was gibt's? Was ist geschehen?“ fragte der Bajazzo einen der Rufer.
„Das wissen Sie noch nicht?“ antwortete dieser.
„Nein, sonst würde ich nicht fragen.“
„Ah, ja. Die Depesche ist ja erst vor Minuten gekommen. Der Kaiser hat Preußen den Krieg erklärt. Die algerischen Regimenter werden marschieren. Alle, Zuaven und Turkos müssen fort.“
„Ist das wahr?“
„Ja, ja; Sie hören es doch.“
Der Bajazzo wollte noch weiter fragen; aber Vater Main nahm ihn beim Arm und zog ihn fort.
„Dummkopf!“ raunte er ihm zu. „Wir dürfen uns doch nicht sehen lassen.“
Sie gingen weiter, vorsichtig die hellerleuchteten Stellen der Straße vermeidend.
„Krieg, Krieg“, sagte der Bajazzo. „Weißt du, was das bedeutet?“
„Das Preußen fürchterliche Prügel bekommt.“
„Ich meine, was es in Beziehung auf uns bedeutet.“
„Auf uns? Hm! Ja. Man wird aufgeregt sein. Man ist nur mit dem Krieg beschäftigt. Man hat keine Zeit, auf uns zu achten. Ich glaube, wir können es wagen, nach Paris zu gehen.“
„Ja, das meine ich.“
„Ich kann holen, was ich dort versteckt habe. Aber daran können wir ja später denken. Komm
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