595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
daheim zurechtgelegten Taktik habe ich diesen Aspekt allerdings berücksichtigt. Er soll ruhig einen Spieler in mir sehen, der nur auf gute Kombinationen zockt.
Für Gudrun verläuft es dramatisch. Sie versucht verzweifelt, den verlorenen Einsatz zurückzugewinnen, aber die meisten ihrer Chips landen auf Dimitris Haufen. Kurz nach halb zehn setzt sie ihren letzten Tausender und verliert.
Fassungslos schlägt sie die Hände vors Gesicht. Ein Schluchzer entfährt ihrer Kehle.
»Machen wir eine kurze Pause und schnappen Sauerstoff«, regt Dimitri an. »Eine Viertelstunde?«
Unser Kapital betrachtend nicke ich. Der Russe führt wieder, er dürfte gut einhunderttausend mehr besitzen als ich. Trotzdem haben sich meine Gewinnchancen seit Beginn des Turniers verbessert.
Auf der Terrasse atme ich frische Luft ein. Anhand von Stöckelschuhgeräuschen höre ich eine der Frauen näher kommen.
»Fünfzehn Minuten reichen für ein kostenloses Vergnügen«, flüstert sie mir ins Ohr, als sie sich von hinten an mich presst. Ihre Lippen saugen an einem Ohrläppchen.
»Kein Interesse«, murmle ich. Dabei denke ich nicht mal an Katharina, sondern nur daran, geistig angespannt zu bleiben. Zu viel Entspannung schadet beim Pokern.
Nachdem mir Dimitri im Laufe der nächsten Partien dreißigtausend Euro abluchst, ändere ich mein Vorgehen. Ich zocke auf ein mäßiges Blatt (ein Paar mit Achtern), er fällt darauf herein und steigt aus. Um ihm klarzumachen, dass er mir auf den Leim gegangen ist, drehe ich die verdeckten Spielkarten um.
Wegen seiner Sonnenbrille kann ich mir den Ausdruck seiner Augen nur vorstellen. Nun weiß er, dass ich das Bluffen beherrsche.
Nach dem Tätigen des Grundeinsatzes erhalten wir unsere Karten. Den Regeln entsprechend eröffnet Dimitri, ich erhöhe seinen Einsatz, er schließt mit einer weiteren Steigerung die Wettrunde.
Neue Karten werden verteilt, weitere Einsätze getätigt, bis mir Jelena meine letzte offene Karte präsentiert. Eine Herzdame, die perfekt zu meinem unverdeckten Herzbuben passt.
Beim Setzen schrumpft der Haufen meiner Chips bedrohlich. Entweder hat Dimitri ebenfalls ein gutes Blatt oder er will die Schmach des vorherigen Spiels tilgen und mich zum Aussteigen bewegen.
Die letzte Runde, die letzte Karte.
Jelena schiebt sie mir verdeckt zu. Ich lüfte sie an einer Ecke und warte auf seinen Zug.
»Ich erhöhe um vierzigtausend.«
Ich zähle die erforderlichen Jetons ab und steigere den Einsatz nochmals um zwanzigtausend. Nun habe ich noch siebzigtausend in Reserve.
»Du bluffst«, behauptet er. Er bietet meine zwanzig und weitere dreißig.
»Sicher?«, frage ich herausfordernd. »Deine dreißig und mein ganzer Rest.« Ich schiebe das Spielgeld komplett in die Mitte des Tisches. Die Spannung im Raum steigt spürbar. Die Frauen einschließlich Gudrun starren auf den Tisch, selbst der Leibwächter heuchelt nun kein Desinteresse mehr. Ich bin all-in. Wenn er das bessere Blatt besitzt, habe ich alles verloren.
Er wirft einen letzten Blick auf seine verdeckten Karten und zieht mit meinem Einsatz gleich. »Lass die Hosen runter!«
Ich decke die erste Karte auf: Herzass.
Die zweite: Herzkönig.
Dimitri nimmt seine Sonnenbrille ab und starrt auf meine Finger. Ich beobachte seine Augen, während ich meine dritte Spielkarte langsam umdrehe: Herzzehn.
Er schließt die Lider und brüllt auf Russisch seinen Frust hinaus. Doch nach dieser spontanen Regung hat er seine Emotionen rasch im Griff.
»Glückwunsch!«, sagt er. Obwohl dies nicht notwendig ist, zeigt er mir seine Kombination. Er hat einen Straight Flush gesammelt. Hätte ich die Herzzehn nicht bekommen, wäre alles verloren gewesen.
Ich staple die Chips und komme auf einen Gegenwert von 505.000. Damit verfügt er noch über 95.000. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es kurz nach elf ist. In gut fünf Stunden werde ich Sascha begegnen.
»Du bist ein gewiefter Geschäftsmann«, schmiere ich meinem Kontrahenten Honig ums Maul. Mit einer Handbewegung fordert er mich zum Weitersprechen auf.
»Ich habe einen geschäftlichen Vorschlag für dich.« Ich schiebe ihm Chips im Wert von einhunderttausend Euro zu. »Mit denen möchte ich den Schuldschein zurückzahlen.«
Das nächste Abzählen dauert länger, bis ich bei einer Viertelmillion ankomme. »Damit möchte ich dieses Etablissement erwerben.«
Überrascht sieht er mich an, aber ehe er etwas sagen kann, sortiere ich erneut Jetons. »Und mit diesen 105.000 will ich
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