6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
wachsende Anzahl der Enkelkinder, den bevorstehenden fünfunddreißigsten Hochzeitstag und andere wichtige und unwichtige Dinge reden konnten.
„Eigentlich habe ich es anders gemeint“, nahm Toni das Gespräch wieder auf, während Hope ihm eine Tasse Kaffee einschenkte. Er liebte ihren Kaffee, er war so ganz nach seinem Geschmack. „Seine Rückkehr bedeutet nichts Gutes, das spüre ich.“
„Angeblich ist er nur wegen der Hochzeit gekommen“, wandte Hope ein.
„Ja, und wir dachten, er würde Celia mitbringen und anschließend nach England zurückfliegen. Aber er ist allein gekommen und geblieben. Warum hat er sich so plötzlich entschlossen, London den Rücken zu kehren? Dort ist er an einem Unternehmen beteiligt, dessen Umsätze ständig steigen, und er hatte sich eine erfolgreiche Karriere aufgebaut.“
„Sicher, doch in Italien, in seinem Heimatland, eine Niederlassung zu gründen, halte ich für eine gute Idee.“
„Dahinter steckt etwas ganz anderes“, vermutete Toni.
Hope nickte. „Das befürchte ich auch. Hoffentlich hat es nichts mit …“ Sie verstummte.
„Was wolltest du sagen?“ Toni nahm ihre Hand.
„Er hat so viel über Celia erzählt, bei jedem Anruf und in jedem Brief gab es fast kein anderes Thema. Ich war überrascht zu erfahren, dass sie blind ist, eigentlich ist er kein Mensch, der …“ Wieder unterbrach sie sich.
„Ich teile deine Bedenken und halte es für unwahrscheinlich, dass er auf Dauer mit einer Frau zusammenleben kann, die auf seine Hilfe angewiesen ist“, stimmte Toni ihr zu. „Eine Zeit lang dachte ich, ich hätte mich getäuscht, und war stolz auf ihn. Zum ersten Mal war er von einer Frau restlos begeistert.“
„Und plötzlich ist alles aus“, stellte Hope wehmütig fest. „Er ist ohne sie gekommen und hat sie in den drei Monaten seither mit keinem Wort erwähnt. Was mag wohl passiert sein?“
„Hast du eine bestimmte Befürchtung?“
„Ja … Er hat sie verlassen, weil seine Liebe zu ihr nicht groß genug war, um mit ihrer Behinderung zurechtzukommen. Es macht mich traurig, dass einer meiner Söhne so schäbig handelt.“
„Aber du warst anfänglich keineswegs begeistert über die Beziehung“, erinnerte Toni sie. „Du warst der Meinung, eine blinde Frau würde ihn in seiner Bewegungsfreiheit einengen.“
„Du hast recht, ich bin inkonsequent“, gab sie zu und verzog das Gesicht. „Ich hätte allerdings gern geglaubt, mein Sohn sei großzügiger und weitherziger als ich und nicht so schrecklich vernünftig.“ „Niemand ist großzügiger und hat ein weicheres Herz als du“, entgegnete Toni liebevoll. „Wer weiß das besser als ich? Wo wäre ich ohne deine grenzenlose Liebe?“
„So viel Lob habe ich nicht verdient“, protestierte sie lächelnd. „Es ist nicht schwierig, einen so liebenswerten, rücksichtsvollen Mann wie dich zu lieben, der einem alle Wünsche erfüllt.“ Sie küsste ihn zärtlich auf die Wange.
Vor fünfunddreißig Jahren hatten sie sich während ihres Italienurlaubs kennengelernt. Sie war Engländerin, geschieden und hatte drei Söhne: ihren Adoptivsohn Luke, ihren leiblichen Sohn Francesco, dessen Vater jedoch nicht ihr Ehemann war, und ihren Stiefsohn Primo. Bei Toni war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, er war überglücklich, als sie einwilligte, seine Frau zu werden. Und dann hatte die Geburt der Zwillinge Carlo und Ruggiero sein Glück vollkommen gemacht. Manchmal hatte Toni den leisen Verdacht, Francesco sei ihr Lieblingssohn. Andererseits liebte sie alle ihre Söhne innig, auf ihre Art behandelte sie alle gleich.
Hope hatte Francesco sehr vermisst, als er nach Amerika und unmittelbar danach nach England gegangen war. Aber sie sehnte sich auch nach den anderen Söhnen, wenn diese für Jahre verschwanden und nur gelegentlich zu Besuch kamen.
Als Francesco vor drei Monaten kurz vor Ruggieros Hochzeit nach Neapel gekommen war, hatte er voller Begeisterung über seine Pläne geredet. Er wollte hier eine Niederlassung eröffnen, um sein ohnehin schon beträchtliches Vermögen zu vergrößern. Solange er noch keine passende Wohnung gefunden hatte, wohnte er zu Hause in seinem früheren Zimmer, das seit seinem Auszug vor vielen Jahren unverändert geblieben war.
Er war jedoch ohne die Frau gekommen, die er zumindest eine Zeit lang geliebt hatte. Da er offenbar nicht bereit war, über das Thema zu sprechen, wusste niemand, was los war.
„Du befürchtest, dass er sich von ihr getrennt hat, weil sie für ihn
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