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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sagte der Vorsteher. „Ich habe vorhin mit ihm gesprochen, er aber in seiner Verstocktheit hat den Boten der Gnade und des Friedens von sich gewiesen. Er wird dahin kommen, wo Heulen und Zähneklappern ist.“
    „Marie – Marie – mir wird – mir wird so schlimm – so sehr schlimm – so sehr schlimm“, klagte die Blinde.
    Das arme Mädchen wollte die alte Frau stützen und aufrecht halten; aber es gelang ihr nicht. Schwer wie Eisen glitt die Blinde zu Boden nieder, mitten in das Blut hinein.
    „Der Herr ist ein gerechter und eifriger Gott, der da heimsuchet die Sünden der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied! Denen aber, welche seine Wege wandeln, läßt er seine Gnade leuchten bis in alle Ewigkeit.“
    Mit diesen Worten entfernte sich der fromme Bote des Friedens. Er, dessen Beruf es war, Segen zu spenden, hatte den Fluch gebracht. Er, der Bote und Verkündiger des Lebens, hatte den Tod gegeben. Er ließ eine Leiche zurück und eine Ohnmächtige, beide im Blut liegend, und um sie jammerten und klagten ein reines, unschuldiges Mädchen und die nun zu Waisen gewordenen Kleinen.
    Bald darauf betraten Polizisten das Haus, und im Auftrag des öffentlichen Anklägers in den Wohnungen der Gefangenen eine strenge Haussuchung zu halten. Diese letztere war natürlich resultatlos. Aber das Elend, welches sie fanden, flößte ihnen das tiefste Mitleid ein. Die Leiche Bertrams war bereits starr geworden. Die Kinder hockten, leise schluchzend, in der Ecke, Marie saß, in starren, wortlosen Schmerz versunken, bei dem toten Vater, und auf einem alten Scheuerkissen saß Frau Fels. Als die Beamten den Versuch mit ihr machten, sie zum Sprechen zu bringen, gab sie nur unartikulierte Töne von sich, welche wie ‚eingebrochen‘, ‚arretiert‘ und ‚im Zuchthaus‘ klangen und kaum verstanden werden konnten. Der Armenarzt, welcher schnell geholt wurde, erklärte, daß sie irrsinnig geworden sei. Der Tote wurde in das Leichenhaus, die Blinde in die städtische Anstalt für Geisteskranke und die Kleinen in das Waisenhaus gebracht. Marie erhielt die Weisung, das Logis zu reinigen und daselbst zu verbleiben, bis der Vormund, welcher den Kindern gegeben werden mußte, anderweite Maßregeln getroffen habe.
    Sie nahm diesen Befehl hin, ohne zu antworten, und ließ auch die Entfernung des Toten und der Lebendigen geschehen, ohne sich vom Platz zu rühren. Es hatte ganz und gar den Anschein, als ob auch sie irrsinnig geworden sei.

SECHSTES KAPITEL
    Im Elend
    Der Vorsteher hatte sich nicht in seine Wohnung, sondern zur Vormundschaftsbehörde begeben, um zu melden, was geschehen sei, und in welcher geistlichen Verwahrlosung er die Hinterlassenen getroffen habe. Er wurde darauf gefragt, ob er sich der Sorge der Vormundschaft unterziehen wolle, und er antwortete:
    „Es ist Gottes Wille, in welchem ich mich füge. Ich werde wachen und beten, damit mir die Freude werde, die Verirrten auf den Pfad des Heiles zurückzuführen!“
    Von da begab er sich zum Baron von Helfenstein, der ihn auch sofort bei sich vorließ. Er grüßte in seiner gewöhnlichen, salbungsvoll-untertänigen Weise und sagte:
    „Heute bringe ich Euer Gnaden wichtigere Botschaften, als bei meinem letzten Besuch. Darf ich Sie mit denselben behelligen?“
    „Setzen Sie sich und sprechen Sie!“ antwortete der Baron, auf einen Sessel deutend.
    Herr Seidelmann folgte diesem Gebot und begann:
    „Zunächst habe ich zu melden, daß die Bertrams die Miete bezahlt haben!“
    „Wirklich?“ erklang es verwundert. „Woher mögen sie das Geld erhalten haben?“
    „Von einem Juden aus der Wasserstraße, sagte der alte Schwindsüchtige.“
    „Das könnte nur Salomon Levi sein. Vielleicht haben sie etwas versetzt!“
    „Wohl schwerlich. Sie hatten nichts mehr, was einen Wert hatte. Und ich schätze, daß der Robert Bertram, welcher mir das Geld brachte, sich im Besitz von wenigstens fünfzig Talern befand.“
    „Alle Wetter! Das wäre allerdings viel! Was könnte den Juden vermocht haben, der Familie diese Summe zu opfern?“
    „Zu opfern?“ fragte der Vorsteher, indem er überlegend die Achsel zuckte. „Salomon Levi bringt niemals ein Opfer. Was er tut, das hat sicher seine Berechnung. Er unternimmt niemals etwas, was ihm nicht Vorteil bringt.“
    „Um so neugieriger wäre ich, die Gründe seiner Großmut zu erfahren.“
    „Wollen Sie mich mit dieser Angelegenheit betrauen?“
    „Sehr gern. Ich würde Ihnen dankbar sein. Aber der Jude ist ein

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