60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Person ist mir sicher, entweder als Gemahl oder als Gefangener.“
Da machte er einen letzten Versuch. Er wollte sehen, ob sie einzuschüchtern sei. Daher meinte er, die Achsel zuckend:
„So sicher denn nun wohl nicht. Ich glaube vielmehr, daß ich dich viel sicherer habe als du mich.“
Sie zuckte ebenso die Achsel wie er und fragte lächelnd:
„Wieso?“
„Nun, ich habe dich ja hier in meiner Behausung! Wie nun, wenn du dieselbe nicht wieder verläßt, wenigstens nicht lebendig?“
Ihr Gesicht zeigte nicht eine Spur von Angst oder Schreck. Sie sagte:
„Du beurteilst mich viel, viel zu falsch. Ich weiß, daß ein Mörder imstande ist, eine zweite Person zu töten, wenn er sich dadurch Sicherheit verschaffen kann. Daher habe ich meine Maßregeln getroffen. Ich bin nicht ohne Begleitung hier. Man hat mich bei dir eintreten sehen; man wird mich, wenn meine Abwesenheit zu lange dauert, hier abholen und von dir fordern. Übrigens bin ich nicht unbewaffnet und würde mich zu wehren wissen. Also entscheide dich! Ich brauche nur einen Wink durch das Fenster zu geben, so kommen meine Begleiter und du bist Arrestant. Dein Unglück ist dann nicht mehr rückgängig zu machen.“
Was sie sagte, war keineswegs alles wahr! Sie befand sich ganz allein hier und dachte gar nicht an seine Arretur. Aber als sie jetzt an das Fenster trat und dasselbe zu öffnen begann, überkam ihn eine entsetzliche Angst. Er sagte sich, daß er jetzt nicht in der Lage sei, es mit diesem Weib aufzunehmen und daß ihm die nächsten Tage oder Wochen vielleicht bessere Chancen bieten würden, sie loszuwerden. Daher hielt er ihren Arm zurück und sagte:
„Halt! Rufen Sie niemand herbei! Sie sollen Ihren Willen haben!“
Sie wendete sich langsam zu ihm um und fragte:
„Das heißt, ich soll Baronin von Helfenstein werden?“
„Ja.“
„Sie geben mir die schriftliche Zusicherung nebst Siegel und Unterschrift?“
„Ja.“
„Gehen mit mir zum Pfarrer?“
„Zum Teuf – ja, zum Pfarrer!“
„Und schreiben dann auch nieder, daß Sie der Mörder des Barons sind?“
„Ja. Ich gebe Ihnen Siegel und Unterschrift dazu.“
Da glitt ein überlegenes Lächeln über ihr Gesicht.
„Sie halten mich für dümmer, als ich bin“, sagte sie. „Auf diesem Dokument würde mir Datum und Siegel nur schaden, auch die Unterschrift. Durch das Datum würde nachgewiesen, daß wir unser Übereinkommen vor Brandts Verurteilung getroffen haben; ich würde also Ihre Mitschuldige, eine Verbrecherin sein und könnte, ohne mich selbst in die größte Gefahr zu bringen, von diesem Dokument gar keinen Gebrauch machen.“
„Verdammt raffiniert!“ stieß er hervor.
„Allerdings! Das muß man sein, wenn man mit lachender Miene einen Mörder heiratet! Wie leicht können Sie auf den Gedanken kommen, auch mich aus der Welt zu schaffen, um wieder in den Besitz Ihrer Unterschrift zu kommen. Aber ich fürchte mich nicht. Ich werde meine Maßregeln so treffen, daß Sie mir nichts anhaben können, ohne sich selbst zu verderben. Ich werde Ihnen das, was Sie über den Mord niederschreiben, diktieren.“
„Ah! Warum?“
„Das werden Sie merken, ohne daß ich es Ihnen sage. Wir werden da mitten im Satz und ganz oben auf der ersten Seite eines Briefbogens beginnen, so daß das Dokument als Teil eines Briefes erscheint, den Sie fortschicken wollten, aber nicht fortgeschickt haben.“
„Mädchen! In Ihnen wohnt, weiß Gott, eine ganze Hölle!“
„Aber auch ein ganzer Himmel, lieber Franz!“ lachte sie. Und indem sie ihn umarmte und küßte, fuhr sie fort: „Du wirst die Wahl zwischen dieser Hölle und diesem Himmel haben. Komm, sei gescheit, und wähle den letzteren. Nimm Papier zur Hand und schreibe. Dann gehen wir zum Pfarrer, und die Sache ist abgemacht!“
Er konnte nicht anders. Halb gezwungen und halb ihren verführerischen Liebkosungen folgend, brachte er die nötigen Schreibrequisiten zum Vorschein. – Eine Stunde später sah man sie Arm in Arm durch das Dörfchen gehen und hinter der Tür des Pfarrhauses verschwinden. –
Der Tag, an welchem die Untersuchung gegen Brandt verhandelt werden sollte, kam heran. Er war durch die Zeitungen verkündigt worden, und alle Welt nahm an dieser Angelegenheit den regsten Teil.
War er schuldig oder unschuldig? So fragte man sich. Die Stimmen waren geteilt; aber die große Hälfte derselben fand sich auf seiner Seite. Es war nicht das mindeste verschwiegen geblieben. Da der Untersuchungsrichter nichts Neues
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