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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gefühlt; aber das, was er jetzt hörte, war ihm zuviel. Diese Zumutung war seiner Anschauung nach zu stark. Darum rief er mit lauter Stimme:
    „Junge, du bist unschuldig! Gott und mein Herz sprechen dich frei. Ein Unschuldiger bedarf der Gnade nicht. Wer um Gnade nachsucht, gibt seine Schuld zu. Darum laß dich hinrichten, laß dich hinrichten! Das ist mir keine Schande. Aber dich lebenslang im Zuchthaus zu wissen, weiß Gott, das gibt mir und deiner Mutter den augenblicklichen Tod!“
    Das war so schnell gekommen, daß der Vorsitzende gar keine Zeit gefunden hatte, ihm das Wort zu verbieten. Jetzt aber drehte sich der Alte selbst zum Gehen um und rief:
    „Leb wohl, Gustav! Vor deinem Tod siehst du mich und die Mutter noch einmal. Halte den Kopf hoch! Ich sterbe nicht eher, als bis ich den Schuldigen massakriert habe!“
    Damit war der brave Forstmann zur Tür hinaus. Daß er wegen dieses herzhaften Verhaltens bestraft werden könne, kam ihm gar nicht bei.
    Der Verurteilte wurde abgeführt, und die aufgeregte Zuhörerschaft verlief sich nur langsam aus dem Saal. Die vor dem Palast versammelte Menge zerstreute sich lärmend, um das Urteil in der Residenz zu verbreiten.
    Alma war nach ihrem Hotel gegangen, um das Ergebnis dort zu erwarten. Was sie in letzter Zeit erlitten hatte, schien so schwer, daß sie sich wunderte, es ertragen zu haben.
    Jetzt ging sie weinend und händeringend im Zimmer herum.
    „Ich konnte nicht anders; ich konnte wahrhaftig nicht anders!“ schluchzte sie. „Ich werde schuld sein, daß man ihn zum Tod verurteilt; aber ich werde es wiedergutmachen, indem ich sofort zum König eile und persönlich um Gnade für ihn bitte. Der Wagen wartet angespannt vor der Tür.“
    Endlich, nach mehr als zwei langen, langen Stunden kam ihr Diener, den sie im Verhandlungssaal zurückgelassen hatte. Sie stürzte sich ihm förmlich entgegen, um zu fragen:
    „Nun? Schnell, schnell! Was für ein Urteil ist gefallen!“
    „Schuldig!“ antwortete der Mann, welcher selbst sehr tief ergriffen war.
    „Schuldig!“ schrie sie auf. „Oh, mein Gott! So ist er zum Tod verurteilt worden?“
    „Ja! Und gnädiges Fräulein, jedermann schwört darauf, daß er unschuldig ist. Sie müssen ihn retten!“
    „Sofort, sofort! Der Wagen steht doch unten?“
    „Ja, wie verabredet war.“
    „So komm! Ich muß augenblicklich in das königliche Schloß!“ –
    Gegen den Abend desselben Tages ging es bei dem Totengräber von Helfenstein sehr hoch her. Es war sein Geburtstag, und da hatte seine Alte einen mächtigen Napfkuchen gebacken. Es war zwar wenig Butter und gar kein Zucker zu demselben verwendet worden, dafür aber war er gewaltig angebrannt, so daß die Hausfrau den Napf hatte zerbrechen müssen, um zu dem Kuchen zu kommen.
    Sie saßen beide miteinander am Fenster und blickten sehnsüchtig den Berg hinab. Der Gottesacker lag nämlich oben auf der Höhe und stieß an den dichten Wald. Ein Weg führte hinab in das Dorf, und auf diesem Wege mußten die beiden Männer, welche sie geladen hatten, heraufkommen – der Schmied und sein Sohn.
    Der Totengräber hatte einen Sohn, bei welchem der Schmied Pate gestanden hatte. Dieser Sohn war Soldat gewesen und dann in einem Gasthöfchen der Residenz Hausknecht geworden, hatte sich aber seit längerer Zeit nach einer anderen Stelle umgesehen. Er wäre für sein Leben gern in ‚königliche Dienste‘ getreten, wie er sich ausdrückte, um ‚Staatsdienste‘ zu bezeichnen. Er war gewohnt, den Eltern alljährlich am Geburtstag des Vaters einen Brief zu senden. Dieser Brief war heut auch pünktlich angekommen, da aber der Schreiber desselben keineswegs zu den ‚Helden der Feder‘ gehörte, und weder der Totengräber noch seine Frau gelernt hatten, ägyptische Hieroglyphen zu entziffern, so hatten sie sich hierbei stets auf fremde Hilfe verlassen müssen.
    Der Schmied war also der Gevatter der beiden alten Leute, stand aber zu dem Totengräber auch noch in einem anderen, freilich sehr geheimen Verhältnisse. Der letztere gehörte nämlich gradso wie der erstere zu den Schmugglern. In einem alten Erbbegräbnis, welches in der hinteren Ecke des Kirchhofs lag, befand sich nämlich eine verborgene Niederlage von Schmuggelwaren, von deren Vorhandensein nicht einmal die Totengräberin eine Ahnung hatte. Darum kam der Schmied mit seinem Sohne oft herauf, um den Gevatter zu besuchen, und hatte auch gestern die Einladung erhalten, den Napfkuchen mit verzehren zu helfen.
    Er hatte

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