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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verloren sei.
    Dann begann der Verteidiger sein Plädoyer. Er erging sich nicht in kühnen Wortspielen, er appellierte nicht mit schön klingenden Worten an das Gefühl der Richter. Er sprach einfach und würdevoll. Der Hauptpunkt seiner Rede bestand in dem Versuch, nachzuweisen, daß sein Klient nicht der einzige sei, auf den der Verdacht zu fallen habe.
    „Wer hat“, fragte er, „der Komtesse von Helfenstein erwiesenermaßen eine fruchtlose Liebeserklärung gemacht? Wer hat sich dahin geschlichen gehabt, wo die beiden Schüsse fielen? Wer befand sich im Schloß als Gast, so daß der Zutritt zum Baron ihm an jedem Augenblick möglich war? Was beweist das Rasiermesser und der Schlüssel? Das erstere ist dem Angeklagten gestohlen und der letztere ihm unbemerkt in die Tasche gesteckt worden.“
    Bei dieser Auslassung richteten aller Augen sich auf Baron Franz. Er war erbleicht, aber er schien gänzlich unberührt zu bleiben. Der Verteidiger fuhr fort:
    „Der, welchen ich meine, hatte Absicht auf die Baronesse. Um zu ihrer Hand zu gelangen, mußte er diejenigen entfernen, welche ihm hinderlich waren – ich meine ihren Vater, ihren Verlobten und ihren Milchbruder, den er für ihren heimlich Geliebten hielt. Die ersteren entfernte er, indem er sie tötete, den letzteren dadurch, daß er den Verdacht des Mordes auf ihn warf. Die Umstände kamen ihm dabei ganz trefflich zustatten, und er verstand es, sie mit teuflischer Schnelligkeit zu benutzen. Gegen ihn sprechen wenigstens ebenso viele Gründe und Beweise wie gegen den Angeklagten.“
    Der brave Mann stand der Wahrheit wirklich so nahe, wie er überzeugt war; aber er wurde von dem Staatsanwalt zurückgewiesen, welcher den Grund, der Brandt noch so spät in das Schloß getrieben hatte, gradezu unsinnig nannte. Der Ruf, welchen die Pascher ausgesprochen haben sollten, der Ruf der Rache ‚an den Helfensteiner‘, war seiner Ansicht nach so unglücklich ersonnen, daß diese offenbare Lüge dem Angeklagten mehr Schaden als Nutzen bringen müsse.
    Nach diesem wurde das Resümee gezogen und dann der Angeklagte gefragt, ob er noch etwas zu bemerken habe. Er erhob sich und erklärte mit lauter, sicherer Stimme:
    „Meine Herren! Der Angriff gegen denjenigen, welchen ich allein für schuldig halte, ist abgewiesen worden. Gott wird ihn richten. Ich stehe hier vor dem Allwissenden und ihnen. Der Vater im Himmel, welcher die Gedanken seiner Kinder kennt, weiß, daß ich unschuldig bin. Sie, meine Herren, können dies nur ahnen und fühlen, aber sie müssen nach dem Buchstaben des Gesetzes entscheiden. Dieses Gesetz steht über mir und ihnen; aber wenn sie mich zum Tode verurteilen, begehen sie einen Justizmord, so wahr ich hoffe, trotz eines durch das Schwert erlittenen Todes dennoch selig zu werden. Meine Herren, tun sie jetzt ihre Pflicht!“
    Hundert Augen standen unter Tränen. Gustav Brandt wurde abgeführt, und die Geschworenen traten in das Beratungszimmer. Sie nahmen es mit diesem Fall so genau und ernst, wie er es verdiente; ihre Abwesenheit währte über zwei Stunden. Während dieser Zeit hatte sich von der Zuhörerschaft kein Mensch und von den Zeugen nur ein einziger entfernt: Alma von Helfenstein, welcher es natürlich unmöglich war, länger zu bleiben.
    Endlich kehrten die Geschworenen zurück, und der Angeklagte wurde wieder geholt. Er richtete sein Auge fest und forschend auf den Obmann der ersteren, und dieser verkündigte, daß die Herren, obgleich sehr viel für den Angeklagten spreche, doch die überzeugendsten Gründe gegen ihn seien, ungern, aber nach bester Überzeugung ein ‚Schuldig‘ ausgesprochen hätten.
    Ein lautes Summen ging durch den Saal. Das hatte man kaum erwartet. Man vergaß, daß die Geschworenen nur die Schuldfrage zu beantworten haben; sie hatten nicht anders gekonnt.
    Brandts Angesicht war starr und ausdruckslos. Er hatte gewußt, was kommen werde, ja kommen müsse. Aber nun es gekommen war, mußte er seine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um zu verbergen, mit welcher Gewalt ihn der erwartete Schlag getroffen hatte.
    Auf Grund des Verdiktes wurde verkündigt, daß er zum Tod durch das Schwert verurteilt sei, daß man aber beschlossen habe, Seiner Majestät, dem König, ein Gesuch um Verwandlung der Todesstrafe zu unterbreiten.
    Diese Entscheidung war kaum ausgesprochen, so sprang der alte Förster von seinem Platz auf. Er war von dem Urteil ebenso schwer betroffen worden wie sein Sohn; er hatte sich wie zerschmettert

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