61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
stand, die Hundepeitsche in der Hand.
„Hierher, Kröte! So! Heute abend trittst du mit auf; da verlange ich eine zierliche Verbeugung und ein reizendes, glückliches, bezauberndes Lächeln. So ein Kinderlächeln reißt die Zuschauer hin. Kannst du noch lächeln?“
„Jaaaaa!“ stöhnte der Kleine, bereits an allen Gliedern zitternd.
„Gut! So lächle! Eins – zwei – drei! Kreuzmohrendonnerwetter, das soll ein Lächeln sein! Warte, Affenpintsch, dir werde ich die Fratze zurechthauen!“
Er faßte den Knaben und holte dann mit der Peitsche zum fürchterlichen Schlage aus. Dieser Hieb konnte tödlich werden. Das Kind hatte viel, oh, viel Schläge erhalten, aber so einen fürchterlichen Hieb noch nicht. Es sah und fühlte ihn bereits kommen, und da, da tat es vor entsetzlicher Angst gerade das, was es früher bei den Eltern getan hatte, wenn es in Furcht geraten war. Der Kleine faltete nämlich die Hände und schrie zeternd:
„Christi Blut und Gerechtigkeit ist mein Schmuck und Ehrenkleid. Damit will ich bei Gott bestehn, wenn ich in den Himmel werd' eingehn. Amen!“
Was war es, was bei diesen Gebetsworten über den riesigen Mann kam? Der Arm mit der Peitsche blieb erhoben; seine Augen starrten in das angstvoll verzogene Antlitz des Kindes nieder. War es eine Erinnerung aus seiner eigenen Kinderzeit, welche ihn ebenso plötzlich wie gewaltig überkam, so daß er zögerte, mit der dem armen, unglücklichen Kind zugedachten unmenschlichen Züchtigung zu beginnen?
„Laß ab!“ bat auch die Frau. „Hau ihn doch nicht schon wieder. Sein Leib ist eine einzige Beule! Wenn du so fortmachst, wirst du ihn noch totschlagen!“
Das war sehr unklug von ihr gehandelt. Die gute Regung, welche seinen Arm starr gemacht hatte, verließ ihn sofort wieder. Er drehte sich zu der Sprecherin um und schrie:
„Weib, was fällt dir ein! Was hast du mir zu befehlen? Wer ist hier der Herr und Gebieter? Du oder ich? Ich werde es dir gleich zeigen! Hier hast du!“
Er holte aus und schlug sie mit solcher Gewalt über die Achsel, daß sie zusammensank. Wäre sie nicht augenblicklich ein wenig zurückgewichen, so wäre sie von der Peitsche über Kopf und Gesicht getroffen worden. Dann wendete er sich voll erneuter Wut wieder zu dem Knaben:
„Nun ist dir dein Brot erst recht gebacken, Bube! Ich haue dich, daß die Funken springen!“
Er schlug auf ihn los. Die fürchterlichen Hiebe fielen hageldicht auf den kleinen, unschuldigen Kerl. Dieser weinte nicht; er ahnte oder wußte aus Erfahrung, daß dies den Grimm seines Peinigers nur erhöhen würde. Aber die Schläge taten so sehr weh, und die Angst des Kindes war so groß, daß es sich keinen anderen Rat und keine andere Hilfe wußte, als unter jammernder Gebärde die kleinen Händchen zu falten und wie im Gebet emporzuheben. In seiner Angst fiel es ihm ein, daß er ein Lied, abermals ein Gebet wisse, welches von Unrecht und von Verzeihung handelte. Es rief also laut und bittend:
„Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe meine Augen zu.
Vater, laß das Auge dein
Über meinem Bette sein!“
„Was? Schlafen will der Balg?“ schrie der Mann. „Zu Bett gehen will er? Das werde ich ihm austreiben!“
Die Hiebe klatschten von neuem auf das hilflos dieser Roheit anheimgegebene Kind. Es betete um sich doch vielleicht zu retten, angstvoll weiter.
„Hab ich Unrecht heut getan,
Sieh es, lieber Gott, nicht an;
Habe noch mit mir Geduld,
Und vergib mir meine Schuld!“
„Geduld?“ hohnlachte der Kerl. „Ja, die habe ich gehabt! Wahrhaft unmenschliche Geduld! Aber jetzt ist sie alle; jetzt geht sie mir aus! Ich schlage dich in Stücke, ich schlage dich tot, wenn du nicht machst, was ich will! Also, lächle! Lächle, Bube!“
Der Kleine zitterte am ganzen Körper; aber er nahm sich mit wahrhaft bewundernswerter Selbstbeherrschung zusammen, fuhr sich mit den Händchen einmal über die tränenden Augen und versuchte dann, das verlangte Lächeln hervorzubringen.
„Besser!“ gebot der Wüterich.
Der Knabe tat sein möglichstes.
„Immer besser! Noch freundlicher!“
Das Gesicht des Kleinen verzog sich zu einer möglichst freundlichen Miene.
„So recht! Und nun die Verbeugung!“
Der Gequälte gehorchte dem Befehl.
„Nicht nach einer Seite, sondern rundum! Schnell, schnell!“
Diesem Befehl wurde sofort Folge geleistet, denn der Sprecher hatte bereits wieder den Arm erhoben.
„Schau, wie gut es geht!“ höhnte er. „Ja, die Peitsche muß nur dabeisein; da ist der gute
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