61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
zeigen Sie diese Karte vor, welche ich Ihnen zu diesem Zweck wieder einhändige.“
„Und wenn der Vorstand Sie zu sehen und zu sprechen wünscht?“
„Ich glaube, ein amtlicher Grund zu diesem Wunsch ist nicht vorhanden!“
„Ich verstehe! Sie wünschen Ihr Inkognito zu bewahren. Erwarten Sie mich hier.“
Er ging und kehrte bereits nach kurzer Zeit zurück.
„Ihr Wunsch ist erfüllt“, sagte er, „und zwar soll Beyer gegen die Hälfte der von mir vermuteten Kaution auf Handgelöbnis entlassen werden.“
„Also bloß fünfzig Gulden?“
„Ja.“
„Hier sind dennoch die hundert. Die übrige Hälfte soll ein Geschenk für ihn sein. Der Arme wird des Geldes bedürfen.“
Der Aktuar betrachtete lächelnd den Hundertguldenschein, schob ihn leicht zurück und meinte:
„Wenn Sie wirklich ein Kollege von mir sind, so müssen Sie wissen, daß ich dieses Geld nicht annehmen darf.“
„Ah! Warum?“
„Ich weiß nicht, von wem es ist.“
„Vom Fürsten des Elends, wie ich die Ehre hatte, Ihnen zu sagen.“
„Dieser geheimnisvolle Mann ist keine gerichtlich oder amtlich legitimierte Persönlichkeit. Ich brauche einen Namen.“
„Ja, die Obrigkeit hat ihre streng vorgeschriebenen Wege und Gebräuche. Aber da der Fürst des Elends sich eben ins Geheimnis hüllt, und auch ich nicht befugt bin, mich zu nennen, so denke ich, daß wir uns an meine Legitimation halten müssen. Schreiben Sie also, daß die fünfzig Gulden gezahlt sind im Auftrag Sr. Exzellenz des Herrn Justizministers!“
„Das wäre allerdings ein Ausweg.“
„Gut! So darf ich unsere Konferenz wohl als beendet betrachten?“
„Noch nicht, denn ich habe Ihnen erst noch die Empfangsbescheinigung auszustellen.“
„Und wann wird der Gefangene entlassen?“
„Sofort. Ich werde ihn vorführen lassen, sobald Sie die Bescheinigung erhalten haben.“
Dies geschah aber doch nicht, sondern als Arndt kaum die Tür hinter sich zugemacht hatte, eilte der Aktuar zunächst zu dem Vorstand.
„Er geht!“ sagte er, hastig bei diesem eintretend. „Schnell, wenn Sie ihn sehen wollen!“
Der Vorstand trat rasch an das Fenster. Arndt ging langsam über den Platz.
„Dieser ist es“, erklärte der Aktuar.
„Dieser also!“ nickte der Vorstand. „Und Sie haben ihn genau angesehen?“
„Ja. Er war verkleidet.“
„Wieso?“
„Er trug Beinkleider nach Art der Kunstreiter, wenn diese sich im Sattel verwandeln. Ein einziger Zug genügt, die Hose erscheinen und verschwinden zu machen. Ich kenne das.“
„Sonderbar, höchst sonderbar! Waren Haar und Bart echt?“
„Wenn sie nicht echt waren, so war doch die Fälschung eine meisterhafte. Die Farbe derselben paßte genau zu dem Teint, doch schien gerade dieser mir ein Werk der Kunst zu sein, obgleich ich es zu beschwören nicht vermöchte.“
„Und diese Legitimation von unserer Exzellenz! So ganz außerordentlich. Das läßt mich vermuten, daß er der Fürst des Elends selber ist.“
„Auch meine Ansicht.“
„Merken Sie sich den Mann genau. Vielleicht sehen wir ihn wieder. Jetzt aber ist er verschwunden. Entlassen Sie den Gefangenen!“
Der Aktuar folgte dieser Weisung. Er kehrte in sein Zimmer zurück und ließ den Schreiber vorführen. Dieser trat herein, totenbleich und mit niedergeschlagenen Augen. Der Aktuar musterte ihn mit mitleidigem Blick und fragte:
„Ich vermute, daß Sie sich nach der Freiheit sehnen, Beyer?“
„Oh, wie sehr, Herr Aktuar!“ antwortete der Gefragte. „Was soll aus meiner Frau und den Kleinen werden, wenn ich gefangen bin!“
„Sie sind alle versorgt.“
„Versorgt? Wieso?“
„Die Kinder befinden sich in Pflege beim Weber Hauser. Ein Wohltäter hat die nötigen Gelder gespendet.“
„Bei Hauser? Der ist brav. Aber warum sind sie nicht daheim?“
„Hm! Ich werde es Ihnen doch sagen müssen, damit Sie bei der Heimkehr nicht zu sehr erschrecken.“
„Erschrecken? Worüber? Mein Gott, was ist geschehen, was werde ich hören müssen!“
„Fassen Sie sich! Leid und Freud treffen sehr oft zusammen. Es hat Sie allerdings ein schwerer Verlust betroffen, aber Gott hat für den rechten Trost gesorgt. Ihre Kinder werden nicht mehr Hunger zu leiden brauchen!“
„Ein schwerer Verlust!“ sagte der arme Mann. „Spannen Sie mich nicht lange auf die Folter, Herr Aktuar! Sagen Sie es lieber gleich! Nicht wahr, meine Frau ist gestorben?“
„Ich kann diese Frage leider nicht verneinen!“
Da sank der Gefangene auf den Stuhl, neben welchem er
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