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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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imstande ist, den Unterschied zwischen mir und Ihnen nach und nach zu beseitigen.“
    Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Sie mußte an die Worte denken, welche Eduard unten auf der Gasse gesprochen hatte.
    „Welche Verabredung wäre das?“ fragte sie.
    „Hätten Sie nicht Lust, in unser Haus zu ziehen?“
    „In Ihr Haus? Was sollte ich da?“
    „In irgendeiner lohnenden Stellung in meiner Nähe sein.“
    „Das geht nicht. Ich kann nicht von zu Hause fort. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern; sie können mich nicht entbehren.“
    „Oh, doch! Ihr Vater hat versichert, daß er es Ihnen erlaube, zu uns zu ziehen.“
    „Als Dienstmädchen?“
    „Wo denken Sie hin! Sie, eine wahre Königin an Schönheit, und Dienstmädchen? Das wäre die größte Sünde, welche ich mir nur denken kann! Nein. Wissen Sie, in der Residenz gibt es Stellungen, welche man mit dem Ausdruck ‚Stütze der Hausfrau‘ bezeichnet. Eine junge Dame in dieser Stellung kommt gleich nach der Hausfrau. Sie erhält ein sehr hohes Salär, gehört mit zur Familie und ist die Gebieterin über sämtliches Gesinde. Hätten Sie nicht Lust, eine solche Stellung zu bekleiden?“
    „Nein.“
    „Ah! Warum nicht?“
    „Weil mich meine Eltern brauchen, wie ich Ihnen bereits sagte.“
    „Aber ich sagte Ihnen bereits, daß Ihr Vater einwilligt, daß Sie als Stütze der Hausfrau zu uns ziehen.“
    „Ich bleibe dennoch daheim!“
    „Aber Sie erhalten hundert Gulden Gehalt!“
    „Hundert Gulden? Das ist viel!“
    „Und von mir erhalten Sie heimlich noch ebensoviel!“
    Ihre Augen richteten sich groß und erschrocken auf ihn. Sie fragte:
    „Von Ihnen? Wozu?“
    „Hm! Für eine Kleinigkeit. Eben, weil ich Sie liebe!“
    „Was meinen Sie mit dieser Kleinigkeit?“
    „Ich hege den Herzenswunsch, daß Sie meine Frau werden möchten. Dieser Wunsch kann leider jetzt noch nicht in Erfüllung gehen, da Vater und Mutter noch nichts davon wissen dürfen. Auch kennen wir beide uns noch zuwenig. Damit wir uns einander ohne Aufsehen nähern können, sollen Sie eben zu uns ziehen. Abends, wenn Sie schlafen gehen, würde ich Sie dann bitten, zuweilen Ihre Tür nicht zu verschließen.“
    Ihr Auge flammte auf, und ihr Busen hob und senkte sich unter der Empfindung des Abscheus, welchen sie in diesem Augenblick nicht zu überwältigen vermochte. Dies machte sie begehrenswerter, als sie so bereits war. Er sah es; er legte die Arme um sie, wollte sie an sich ziehen und fragte:
    „Nicht wahr, Engelchen, Sie willigen ein?“
    Sie aber stieß ihn mit einer Gewalt, die er ihr gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:
    „Ah! Das also ist Ihre Absicht! Ich würde wohl die Kammer bekommen, in welcher Gustel Beyer geschlafen hat?“
    „Ja. Diese Kammer liegt so abgelegen und bequem.“
    „Und dort soll ich Sie des Nachts einlassen?“
    „Ja, meine Seele!“
    „Für zweihundert Gulden jährlich?“
    „Für zweihundert Gulden und viele Geschenke obendrein!“
    „Nicht für zwei Millionen, Herr Seidelmann!“
    Ihr Gesicht drückte jetzt den ganzen Abscheu aus, den sie vor ihm und seinem Antrag empfand. Er bemerkte das, fuhr betreten zurück und fragte im Ton des Erstaunens:
    „Wieso? Ich begreife Sie nicht!“
    „Oh, das ist sehr leicht zu begreifen! Soll ich etwa dasselbe Schicksal erleiden wie Beyers Gustel?“
    „Wo denken Sie hin!“
    „Die hat Sie eingelassen!“
    „Das hat sie gelogen!“
    „Sie haben ihr auch Geschenke gemacht, welche sie dann gestohlen haben soll.“
    „Auch das ist Lüge!“
    „Jetzt nun sitzt sie im Gefängnis! Vater und Mutter sind tot! Warum? Wer ist der Mörder?“
    „Sie sprechen wahrhaftig in Rätseln! Glauben Sie doch, daß ich Sie liebe und daß ich Sie glücklich machen will!“
    „Ich verzichte auf dieses Glück!“
    Sie erhob sich von ihrem Sitz, und er tat dasselbe. Er wußte, daß diese so unerwartete Szene einen Zeugen hatte. Sollte er die Wette verlieren und bezahlen? Auf die fünfzig Gulden wäre es ihm schließlich nicht angekommen; aber Engelchen war gerade in ihrem Zorn so schön, so entzückend, daß seine Begierde, sie zu besitzen, sich verdoppelte. Er beschloß, sie sich jetzt auf keinen Fall entgehen zu lassen.
    Sie standen voreinander, sie mit zornigen und er mit lüstern glühenden Augen. Er stand so, daß sie nicht an ihm vorüber konnte. Sie befand sich, wie er meinte, in seiner Hand.
    „Sie verzichten?“ sagte er. „Sie wissen nicht, was Sie tun!“
    „Ich weiß es im Gegenteil sehr

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