61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Stück hat?“
„Wohl über dreißig Gulden!“
„Ja, sechsunddreißig Gulden. Sie haben es verdorben. Sie müssen Schadenersatz leisten. Das Stück werde ich nicht los. Es gehört Ihnen; es ist Ihr Eigentum, und dafür bezahlen Sie mir jetzt die sechsunddreißig Gulden!“
Dem armen Weber war es, als ob er einen Keulenschlag erhalten hätte.
„O Gott, sechsunddreißig Gulden!“ sagte er. „Ich habe ja nicht einmal soviel Kreuzer in meinem Vermögen!“
„Das wird sich finden. Vorerst aber will ich die drei anderen Stücke prüfen!“
Er suchte und forschte. Er fand keinen Fehler. Da nahm er den Fadenzähler, ein Vergrößerungsglas, und setzte ihn auf den Stoff, um Kette und Einschluß zu prüfen.
„Ah!“ sagte er. „Das ist nicht übel! Wieviel Schuß haben Sie pro Zoll zu liefern?“
„Fünfzig.“
„Und ich zähle nur fünfundvierzig! Das ist kein Kleiderstoff, das ist ein Lappen, ein Lumpen! Wer soll solches Zeug kaufen! Durch solche Arbeiter geht der Ruf der Firma verloren. Wie steht es, können Sie die sechsunddreißig Gulden bezahlen?“
„Nein.“
„Gut, so will ich das auf mich nehmen, um nur den Ärger loszuwerden. Sie erhalten aber natürlich keinen Arbeitslohn, und Arbeit erhalten Sie auch nicht wieder.“
„Herr Seidelmann!“
„Was beliebt?“
„Wollen Sie mich und meine Familie unglücklich machen?“
„Was gehen mich Sie und was geht mich Ihre Familie an! Es ist mir völlig gleichgültig, ob Sie glücklich sind oder nicht. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Arbeiten Sie besser. Basta, abgemacht! Adieu!“
Er drehte sich um, ging hinaus und ließ Eduard stehen. Diesem war es, als ob er träume. Er konnte gar nicht an die Möglichkeit dessen, was er gehört hatte, glauben. Es gab hier nur ein Mittel: Er mußte mit Seidelmann, dem Vater, sprechen. Er begab sich also nach dessen Zimmer und klopfte an.
„Herein“, wurde geantwortet.
Als er eintrat, saßen die beiden Brüder beisammen, und Fritz befand sich bei ihnen.
„Was wünschen Sie?“ fragte der Vater streng.
„Ich wollte Sie ersuchen, sich doch gütigst einmal die –“
„Ah, die vier Stück Kleiderstoff ansehen?“ unterbrach ihn der Kaufmann rasch.
„Ja.“
„Das ist nicht nötig. Mein Sohn hat mich bereits von dem Vorgefallenen unterrichtet. Seine Augen sind ebenso scharf wie die meinigen. Sie kommen noch sehr gut weg.“
„Aber, Herr Seidelmann, ich weiß von keinem Fadenbruch etwas, und ich gestehe, daß wir ohne einen Kreuzer sind und weder Brennmaterial noch Lebensmittel in dieser Kälte mehr besitzen!“
„Was geht mich das an! Arbeitet besser! Sie haben in vierzehn Tagen drei volle Stück fertiggemacht. Das ist unmöglich, wenn man sorgfältig arbeitet. Bei solcher Überstürzung muß ja die Liederlichkeit fertig werden.“
„Herr Seidelmann, ich habe Tag und Nacht gearbeitet, weil Sie uns die hundertzwanzig Gulden gekündigt haben!“
„Weiß schon, weiß schon! Es bleibt bei der Bestimmung meines Sohnes. Sie erhalten keine Arbeit mehr. Und wenn bis Ende des nächsten Monats die gekündigte Summe nicht gezahlt wird, so nehme ich Ihrem Vater die Bude weg.“
„Mein Gott! Das wäre ja die reine Grausamkeit!“
Da erhob sich der Armenpfleger, streckte die Hände weit von sich und sagte:
„Herr, behüte mich in Gnaden! Das ist auch einer von der Rotte Korah, Datham und Abiram! Er lästert die wahren Gläubigen und ärgert die Kinder der Gerechten. Hebe dich von uns, sonst lasse ich Feuer und Schwefel regnen über dieses Gomorrha der Liederlichkeit und des Leichtsinns!“
Eduard fühlte etwas, was nicht Abscheu allein, sondern auch Ekel war. Er ging. Es war ihm ganz wüst im Kopf, und das Herz wollte ihm brechen. Unterwegs – er konnte nicht anders, er konnte nicht weiter, die Glieder wurden ihm so schwer – unterwegs setzte er sich in den tiefen Schnee, legte das Gesicht in die kalten, frierenden Hände und weinte wie ein Kind.
Er hätte da sitzenbleiben können die ganze Nacht. Vielleicht wäre die Starre des Frostes über ihn gekommen und hätte ihn einschlafen lassen auf Nimmererwachen. Aber da dachte er an die Seinigen, an die alten Eltern und auch an die kleineren Geschwister. Er raffte sich wieder empor und ging nach Hause.
Dort erzählte er, was ihm widerfahren war. Diese Nachricht brachte großen Schreck hervor. Die Mutter rang die Hände, und die Brüder und Schwestern weinten. Der Vater hatte wortlos zugehört: jetzt faltete er die Hände und
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