61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
sprach:
„Auf, auf, gib deinem Schmerze
Und Sorgen gute Nacht!
Befiel Gott, was das Herze
Betrübt und traurig macht!
Bist du doch nicht Regente,
Der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führet alles wohl!“
Welch ein Unterschied zwischen diesem armen Weber, dessen Frömmigkeit ohne Falsch war, und jenem Heuchler, der Eduard mit Worten der Heiligen Schrift die Tür gezeigt hatte.
„Du hast recht, Vater“, sagte die weinende Frau; „wir müssen uns auf Gott verlassen. Aber wird er selbst kommen, um uns Brot, Kohlen und Holz zu geben?“
„Brot haben wir nicht“, antwortete Hauser; „aber haben wir nicht noch Kartoffeln?“
„Nur einen ganz kleinen Rest noch.“
„So werden unsere Kinder heute nicht hungern. Koche sie!“
„Womit? Hier in der Stube ist es jetzt ebenso kalt wie draußen auf der Gasse!“
„Ich gehe zum Nachbarn Hofmann. Er wird mir einige Kohlen borgen. Gibt Gott dem reichen Baron von Helfenstein die Kohlen in solchen Mengen umsonst, so kann er auch mir einige Stückchen schenken, um dem Nachbar die Schuld zu bezahlen.“
Er nahm einen Korb und ging. Eduard wußte kaum, was er dachte und was er tat. Die Stube mußte unbedingt geheizt werden. Der Nachbar hatte selbst nichts übrig. Für wenige Kreuzer Kohlen, wie lange konnten sie vorhalten? Der junge Bursche setzte seine Mütze wieder auf, holte sich die kleine Handsäge aus dem Gewölbe und schritt dann zum Städtchen hinaus, dem Wald zu.
Was wollte er dort? Er gab sich keine bestimmte Rechenschaft darüber. Viele arme Leute gingen in den Wald, um ganze Körbe voll Leseholz heimzutragen. Aber das geschah im Sommer. Jetzt konnte man unter dem Schnee nicht suchen. Andere wieder gingen des Nachts hinaus, holten sich ganze Stämme und spalteten sich ihr Winterholz daraus. Auch jetzt gab es noch genug abgestorbene Bäumchen und Bäume, deren Holz trocken genug war, um sogleich als Brennmaterial verwendet werden zu können. Das gab Hilfe in der Not.
Eduard erreichte den Wald. Er kannte eine junge Fichte, welche abgestorben war. Sie war nicht schwer zu finden, und bereits nach kurzer Zeit stand er vor ihr. Er handelte fast willenlos, ganz noch unter dem Einfluß des Geschehenen. Er kniete nieder, legte die Säge an und –
„Herr, mein Heiland, was will ich tun!“
Der Ton, welchen die Säge erzeugte, als sie die dürre Rinde berührte, hatte ihn zu sich gebracht. Es war ihm, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwache.
„Das ist ja Diebstahl“, murmelte er. „Forstdiebstahl, der streng, sehr streng bestraft wird! Soll ich denn die Eltern und Geschwister noch elender machen, als sie bereits jetzt sind? Nein, ich stehle nicht, sondern ich will arbeiten!“
Er erhob sich aus der knienden Stellung.
„Arbeiten?“ fuhr er fort. „Ja, aber kann ich denn? Ich soll ja keine Arbeit mehr erhalten! Gut, so gehe ich in den Kohlenschacht. Ich werde morgen fragen, ob man mich annehmen will.“
Wenn der Mensch im Unglück einen festen Entschluß faßt, so ist ihm bereits zur Hälfte geholfen. Eduard fühlte sich plötzlich ganz ruhig und voll Vertrauen. Er verließ den Ort, an welchem er beinahe zum Dieb geworden wäre.
Der Schnee leuchtete. Indem der junge Mann einem schmalen Waldpfad folgte, welcher nach dem offenen Weg führte, hörte er plötzlich Schritte vor sich. Er blieb überrascht, vielleicht sogar ein wenig erschrocken stehen. Der ihm Begegnende tat dasselbe. Hier unter den Bäumen fiel der Schnee nicht so dicht als draußen im Freien. Die beiden erkannten sich sofort.
„Herr Förster.“
„Was? Hauser Eduard? Was tun Sie zu dieser Zeit und in diesem Wetter hier im Wald?“
„Das will ich Ihnen sagen, Herr Förster, ganz offen und ehrlich, wie es ist. Ich kam, um Holz zu stehlen. Hier sehen Sie die Handsäge. Aber als sie durch die Rinde zu schneiden begann, da war es mir geradeso, als ob es nicht durch den Baumstamm, sondern durch meine Seele gehe. Ich kehrte um.“
„Das ist doch gar nicht zu glauben! Hausers Eduard ein Holzdieb, das macht mir keiner weis, wenn Sie es nicht selber wären, der es sagt. Das muß seine eigene Bewandtnis haben.“
„Die hat es auch. Hören Sie!“
Er erzählte sein heutiges Unglück. Der Förster war ein rauher Mann, aber unter seinem unnahbaren Äußeren verbarg er ein tiefes, wohlwollendes Gemüt. Er hörte den Worten Eduards schweigsam zu und sagte dann, als dieser geendet hatte:
„Ja, ja, so ist es! Diese Seidelmanns sind ein wahrer Segen für unsere Gegend. Es gibt
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