61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
das wird hier in dieser Gegend eigentlich Verleger genannt.“
„Dieses Wort verstehe ich nicht.“
„Ich werde es dir erklären. Es gibt große Fabrikanten, deren Geschäft ein so bedeutendes ist, daß sie gar nicht Zeit finden, direkt mit ihren Arbeitern zu verkehren. Sie engagieren also Mittelspersonen.“
„Ah, das sind die Verleger?“
„Ja.“
„Ein solcher bist auch du?“
„Ja. Es gibt hier Weber zu Tausenden. Sie finden in dieser Gegend keine Arbeit. Ich habe mich nun mit mehreren Fabrikanten in Verbindung gesetzt; diese senden mir das Material und die Muster und bezahlen mir pro Stück einen bestimmten Arbeitslohn. Ich engagiere die Arbeiter und behalte dafür von dem Lohne eine Kleinigkeit für mich.“
„Wieviel beträgt die Kleinigkeit?“
„Bekomme ich pro Stück zehn Gulden, so erhält der Arbeiter, vier, höchstens fünf.“
„Welch ein Sündengeld! Du bist wert, ersäuft zu werden im Meer, da, wo es am tiefsten ist!“
„Bekomme ich ferner pro Stück vierzig Pfund Garn für den Arbeiter, so erhält dieser letztere nur fünfunddreißig. Er muß davon das Stück liefern. Reicht das Garn bei ihm nicht aus, so kommt er zu mir, um zu kaufen, was er nötig hat!“
„Ich sehe den Mühlstein bereits an deinem Hals hängen!“
Der Kaufmann zog eine selbstgefällige Miene und antwortete:
„Ehe ich ertrinke, mußt vorher erst du ersoffen sein. Aber horch, man klopft! Das Essen ist aufgetragen. Komm! Wir dürfen nicht warten lassen!“
Sie begaben sich in das Nebenzimmer. Wie ganz anders sah es da aus als am Mittag bei dem armen Hauser! Dort hatte es nur schlechte Kartoffeln mit Salz gegeben. Hier erfüllten Wohlgerüche das Zimmer, und die Tafel brach fast unter dem Reichtum der Delikatessen, welche aufgetragen waren.
„Komm und lang zu!“ nötigte der Kaufmann.
Da aber zog sein Bruder ein frommes Gesicht, faltete die Hände und sagte:
„Laßt uns vorher beten!“
„Mache hier keine dummen Witze!“ rief Seidelmann. „Das Beten ist für die armen Teufel und für die reichen Heuchler. Mir aber kommst du nicht damit! Setz dich und hau ein!“
Der Fromme schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte:
„Eigentlich müßte dir ja jeder Bissen zu Gift und Galle werden. Du bist schlimmer als ein Heide und Götzendiener; aber Gottes Sonne geht ja auch auf über Gerechte und Ungerechte. Es sei dir verziehen!“
Nun schwelgten die, welche den hungernden Arbeiter um den größten Teil seines Lohnes betrogen, in Genüssen, von denen der Ärmste kaum die Namen zu nennen gewußt hätte. Kostbarer Wein wurde getrunken. Die Tafel währte, bis die Dämmerung hereinbrach. Unten standen die Arbeiter, um die Früchte ihrer Anstrengung zu bringen und den ärmlichen Lohn in Empfang zu nehmen. Sie mußten warten, bis es Fritz Seidelmann gefiel, sich ihrer zu erinnern.
Auch Eduard Hauser befand sich unter ihnen. Er hatte seine vier Stück Kleiderstoff gebracht und zählte die Sekunden. Die Seinen hatten weder Brennmaterial noch Speise, oder Licht.
Endlich kam der Kaufmannssohn. Er expedierte zuerst die anderen und ließ Eduard bis zuletzt warten. Er wußte es so einzurichten, daß die Stoffe desselben neben das Stück zu liegen kamen, welches Hofmann gebracht hatte. Er vertauschte dasselbe so geschickt, daß Eduard gar nichts bemerkte, und prüfte es dann. Seine Stirn zog sich dabei in tiefe Falten.
„Was ist denn das?“ sagte er. „Ich glaube gar, hier ist ein Fadenbruch!“
Eduard erschrak.
„Ein Fadenbruch?“ fragte er. „So etwas ist ja bei mir noch gar nicht vorgekommen.“
„Und doch ist einer hier, und was für einer!“
„Das ist ganz unmöglich, Herr Seidelmann!“
Der Kaufmann warf ihm einen strengen, verweisenden Blick zu und sagte in erhobenem Ton:
„Denken Sie etwa, ich habe keine Augen? Und warum sollte es so sehr unmöglich sein?“
„Weil ich die Stücke vorher ganz genau durchgesehen habe.“
„So schauen Sie her! Hier!“
Er hielt ihm den Fehler vor die Augen. Eduard nahm den Stoff in die Hand, prüfte ihn, besah sich die Arbeit und sagte dann:
„Herr Seidelmann, dieses Stück ist nicht von mir!“
„Ah! Wieso? Von wem denn sonst?“
„Ich kenne meine Arbeit und auch diejenige meines Vaters!“
„Wollen Sie etwa sagen, daß Sie diese vier Stück gar nicht gebracht haben?“
„Das nicht. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll!“
„Desto besser weiß ich, was ich von Ihnen denken soll! Wissen Sie vielleicht, welchen Wert ein solches
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