61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
nur meine Sachen.“
„So haben Sie die Güte, mir den Inhalt zu zeigen!“
Sie öffnete und nahm alles heraus. Es gab da einige grobe Wäsche und Kleidungsstücke, dann Kleinigkeiten, welche keinen Wert haben, von einem jungen Mädchen aber doch wert gehalten werden. Dabei befand sich auch ein kleines Pappschächtelchen. Es mochte früher Pillen oder sonstige Arznei enthalten haben.
„Was ist hier drin?“ fragte der Gendarm.
Da sahen Vater und Tochter einander verlegen an. Sollte man nach diesem Gegenstand suchen?
„Ein Ring“, antwortete der Schreiber.
„Ein Ring? Sie haben doch wiederholt behauptet, daß Sie keinen Ring besitzen!“
„Sie haben doch nach Schmucksachen, nach Kostbarkeiten gefragt!“
„Gehören Ringe nicht zu den Schmucksachen? Zeigen Sie ihn!“
Das Mädchen öffnete das Schächtelchen, nahm den in Watte liegenden Ring heraus und gab ihn dem Beamten. Dieser betrachtete ihn aufmerksam und fragte dann:
„Ist der Ring Ihr Eigentum, Fräulein?“
„Nein.“
„Wem gehört er?“
„Herrn – Herrn Seidelmann“, antwortete sie.
„Wie kommt er in Ihren Besitz?“
„Ich – ich habe ihn gefunden.“
„Und nicht zurückgegeben! Hat Ihr Vater davon gewußt?“
„Ich habe es gewußt“, antwortete der Schreiber.
Dem Gendarm tat das Herz weh. Er war erst vor kurzem in diese Gegend versetzt worden. Er kannte die Familie des Schreibers nicht; aber er sah die bittere Armut ringsum; er blickte in das ehrliche, wenn auch verlegene Gesicht des Mannes und dieses Mädchens und sagte:
„Nach diesem Ring habe ich gesucht. Es wurde Anzeige gemacht, daß er gestohlen worden sei. Sie haben geleugnet, solche Gegenstände zu besitzen. Wissen Sie, daß ich eigentlich gezwungen bin, Sie beide zu arretieren?“
„Um Gottes willen!“ rief der Schreiber.
„Ja! Ihre Tochter als Diebin und Sie als Hehler! Was hätten Sie wohl dagegen vorzubringen?“
„Herr, wir sind ehrliche Leute!“
„Und doch finde ich bei Ihnen den Ring, dessen Besitzer behauptet, daß er ihm gestohlen worden sei!“
„Ich habe ihn nicht gestohlen!“ sagte das Mädchen. „Ich habe ihn nur zurückbehalten, weil ich Ursache dazu habe.“
„Ich will Ihnen alles Mögliche glauben. Ich habe auch nicht weitere Fragen an Sie zu stellen. Ich habe den Ring bei Ihnen gefunden; das muß mir genug sein. Sie aber haben sich zu verantworten. Ich wiederhole, daß ich Sie eigentlich arretieren müßte; aber Sie dauern mich, und ich will Ihnen diese Schande nicht antun. Versprechen Sie mir, daß Sie beide in zehn Minuten beim Bürgermeister sein werden?“
„Ja, das verspreche ich“, antwortete der Schreiber. „Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Wir werden kommen!“
„Gut! Ich verlasse mich auf Ihr Wort. Wenn Sie jedoch in zehn Minuten nicht da sind, so muß ich Sie holen.“
Er ging und begab sich, ohne die Wohnstube nochmals zu betreten, zum Bürgermeister. Den Ring nahm er natürlich mit. Bei dem genannten Stadtoberhaupte saß Fritz Seidelmann, der die Rückkehr des Gendarmen erwartete.
„Nun“, fragte er ihn, „haben Sie den Ring gefunden?“
„Ja, wenn es dieser ist. Sehen Sie sich ihn an!“
Seidelmann betrachtete ihn und sagte:
„Er ist es. Herr Bürgermeister, ich erwarte, daß hier die ganze Strenge des Gesetzes in Anwendung kommt!“
Der Genannte verbeugte sich höflichst und antwortete:
„Sehr wohl, Verehrtester! Es ist traurig, wenn man nicht einmal seines Gesindes sicher ist. Verlassen Sie sich auf mich!“
„Warum haben Sie das Mädchen und den Vater denn nicht sogleich arretiert?“ wendete sich Fritz an den Gendarm.
„Weil ich es nicht für notwendig hielt. Diese Leute werden in fünf Minuten hier sein.“
„Es war Ihre Pflicht, sich ihrer zu versichern!“
„Ich glaube, meine Pflicht zu kennen, Herr Seidelmann. Ich erfülle dieselbe; mehr aber dürfen Sie nicht verlangen!“
„Pah! Mehr habe ich auch gar nicht verlangt. Adieu, Herr Bürgermeister. Darf ich vielleicht hoffen, Sie heute zum Souper bei uns zu empfangen?“
„Gewiß! Ich werde mich pünktlich einstellen. Adieu!“
Fritz ging in der Überzeugung, daß ihm sein Coup gelungen sei. Zu Hause angekommen, begab er sich sogleich zu seinem Oheim, welcher auf ihn wartete.
„Nun?“ fragte der Heilige neugierig. „Wie steht es?“
„Der Gendarm hat gesucht und den Ring gefunden. Nun werden der Schreiber und sein sauberes Mädchen vom Bürgermeister vernommen.“
„So hast du gewonnen! Mein Rat hat dir Hilfe in der
Weitere Kostenlose Bücher