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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verliehen‘.
    Das Geschäft war am Sonntage nicht geöffnet. Dennoch trat Eduard ein, stieg die Treppe empor und klopfte an eine Tür. Diese wurde geöffnet. Ein scharfes, spitzes Männergesicht erschien, eine riesige, alte Brille auf der Nase.
    „Was soll es sein?“ klang es aus dem breiten farblosen Mund hervor.
    „Sie verleihen Masken?“
    „Ja; treten Sie ein!“
    Die Stube, in welcher sich Eduard jetzt befand, hing ganz voller alter Kleider, denen ein unangenehmer Duft entquoll. Der Händler betrachtete ihn prüfend und fragte dann:
    „Für wen wollen Sie den Anzug?“
    „Für mich.“
    „Für Sie! Ich kenne Sie nicht.“
    „Ich heiße Eduard Hauser und bin aus der Nachbarstadt.“
    „Da kann ich Ihnen nur dann dienen, wenn Sie Kaution legen.“
    „Ist das viel?“
    „Der volle Wert des Stücks, welches Sie borgen. Haben Sie Maskenball daheim?“
    „Ja. Nächsten Dienstag.“
    „Ah, das Kasino will auch hinüber. Diese Gesellschaft hat meine ganze Garderobe in Anspruch genommen. Ich kann Ihnen nur einen Domino bieten.“
    Eduard wußte nicht, was ein Domino ist, aber er wollte sich keine Blöße geben und sagte darum:
    „Zeigen Sie mir ihn!“
    „Er ist unten im Laden. Warten Sie einen Augenblick!“
    Der Mann ging, und Eduard blieb allein zurück. Sein Blick fiel auf den alten Schreibtisch, an welchem er stand. Auf demselben lag ein aufgeschlagenes Buch, und da las er, ohne daß er bei der ungewöhnlichen Größe der Schrift noch näher zu treten brauchte:
    ‚Herr Kaufmann Strauch einen Türkenanzug, fünf Gulden.‘
    Und darunter stand:
    ‚Fräulein Marie Tannert, seine Geliebte, einen Anzug als Tscherkessin, auch fünf Gulden, bereits bezahlt.‘
    „Ah, das paßt herrlich!“ flüsterte Eduard. „Da erfahre ich, wer zu mir gehört, wenn es klappt!“
    Der Händler kam zurück. Was er Domino nannte, das war ein alter schwarzer Mantel aus dünnem, schlechtem Zeug, mit einer Kapuze.
    „Wollen Sie auch eine Larve dazu?“ fragte er.
    „Ja.“
    „Ich habe da eine seidene, welche das ganze Gesicht bedeckt. Zusammen würde das zwei Gulden kosten.“
    „Das gebe ich.“
    „Wollen Sie es gleich mitnehmen?“
    Eduard wußte nicht, wo er die Maske zu Hause verbergen könne, so daß sie nicht entdeckt werden konnte; darum sagte er:
    „Ich hole es mir übermorgen.“
    „Mir auch recht! Aber einen Gulden müssen Sie heute doch anzahlen. Es ist das zu meiner Sicherheit, damit ich die Maske nicht weiterzugeben brauche.“
    Eduard bezahlte den Gulden und ging. Er begab sich in ein ihm bekanntes Wirtshaus, wo er sich ein Glas Bier und sodann auch Papier, Tinte und Feder geben ließ. Er schrieb einen kurzen Brief, welcher folgendermaßen lautete:
    „Herr Kaufmann Strauch.
    Wenn Sie mit den Mitgliedern des Kasinos den beabsichtigten Maskenball besuchen, sind Sie am dritten Tag darauf eine Leiche. Sie haben davon abzusehen, dies aber keinem einzigen Menschen zu sagen. Sie stellen sich krank und bleiben zu Hause. Auch die Tannert muß denken, daß Sie kommen. Ich hoffe, daß Sie gehorchen!
    Der Waldkönig.“
    Diesen Brief adressierte er, um ihn in den Kasten zu stecken. Dann erkundigte er sich, ob hier jemand Tannert heiße.
    „Ja“, antwortete der Wirt. „Es gibt nur einen einzigen Tannert. Das ist der reiche Bäcker in der nächsten Gasse.“
    „Hat er eine Tochter?“
    „Sein einziges Kind, die Marie. Die erbt einmal alles.“
    „Das wird dem lieb sein, der sie heiratet.“
    „Freilich. Man munkelt, daß der Kaufmann Strauch ein Auge auf sie geworfen hat.“
    Eduard wußte genug. Er trank aus, bezahlte seine Zeche und ging. Der Brief war bald besorgt, und dann trat er den Heimweg wieder an. Er hatte einen Entschluß gefaßt, den er ausführen wollte. Das gab ihm Kraft und Elastizität. Seine Schritte waren daher jetzt ganz anders als vorher.
    Er war noch gar nicht sehr weit von der Stadt entfernt, so kam ihm ein Korbschlitten entgegen, in welchem außer dem Fuhrmann drei Personen saßen. Er erkannte zu seinem Erstaunen den Schreiber Seidelmanns, dessen Tochter und den Gendarm. Die Hände des Schreibers waren zusammengebunden; er stierte vor sich hin und schien Eduard gar nicht zu bemerken. Seine Tochter war blaß wie eine Leiche und hielt die Augen geschlossen. Auch sie sah also den jungen Burschen nicht, welcher erstaunt zur Seite getreten war, um den Schlitten vorüber zu lassen. Der Gendarm, den er grüßte, machte ein wichtiges Gesicht und dankte ihm mit einem kurzen Nicken des Kopfes.

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