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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Eduard blickte dem Schlitten nach und murmelte bestürzt:
    „Der Schreiber gefangen und seine Tochter dazu! Was mag da geschehen sein? Herrgott, der ist doch kein böser Mensch! Und die schwerkranke Frau daheim. Ich muß nur eilen, daß ich nach Hause komme! Da werde ich erfahren, was sich zugetragen hat!“
    Er verdoppelte die Schnelligkeit seiner Schritte. Es wollte bereits Abend werden. Um fünf Uhr war in der Schenke die Versammlung, in welcher der Schuster Seidelmann eine Rede halten wollte. Eduard hatte sich vorgenommen, diese Rede anzuhören. Er ahnte keineswegs, was für eine Überraschung zu Hause seiner wartete. –
    Der kleine Schreiber war so arm, daß er kein Haus, nicht einmal eine ärmliche Hütte besaß, wie es ihrer in dem Städtchen so zahlreiche gab. Er wohnte zur Miete. Sein trauriges Heim bestand in einem kleinen Stübchen und einem noch kleineren Kämmerchen unter dem Dach, wo der Wind den Schnee zwischen den Schindeln hereintrieb.
    Auf einem alten Kanapee, welches aber eigentlich nur eine alte, wackelige, und mit Lumpen belegte Holzstellage war, lag in der Wohnstube seine Frau. Die Kleinen befanden sich beim Wirt. Dieser war selbst arm, litt es aber gern, daß die Kinder zuweilen zu ihm kamen, um sich an seinem Ofen zu wärmen. Dann hatte die Kranke doch wenigstens nicht den Anblick der leidenden Kleinen zu ertragen.
    Beschwerlich fielen sie dem barmherzigen Wirt keineswegs. Sie hockten still hinter dem Ofen und sahen stumm zu, wie er aus Holzstücken allerlei menschliche und andere Figuren schnitzte. Er verdiente sich sein kärgliches Brot nämlich mit der Anfertigung von Spielwaren.
    Droben in dem Stübchen saß die älteste Tochter bei der Mutter, um zu denjenigen Handreichungen bereit zu sein, welche bei der Krankenpflege notwendig sind. Die Mutter lag bleich und mühsam atmend auf der harten Pritsche. Sie hielt die Augen geschlossen und öffnete sie kaum ein wenig, wenn sie einmal eine Frage an die Tochter richtete.
    Die letztere war ein bildhübsches Mädchen. Jetzt allerdings sah auch sie leidend aus, eine Folge der Armut, der mit der Krankenpflege verbundenen Anstrengung und ihres gegenwärtigen Zustandes. Grad eben jetzt hatte die Kranke die Augen geöffnet. Sie ließ den müden Blick auf ihrem Kind ruhen und fragte mit leiser Stimme:
    „Gustl, hast du heute früh gegessen?“
    „Ja, Mutter“, antwortete die Gefragte, indem sie leicht errötete.
    Sie hatte nämlich eine Unwahrheit gesagt, und das war sie nicht gewohnt. Bei der Vorsicht aber, welche man der Kranken gegenüber beobachten mußte, konnte man dieselbe nicht alles wissen lassen.
    „Was denn, Brötchen?“ fragte diese.
    „Ja, zwei.“
    „Und die Kleinen?“
    „Haben auch jedes zwei erhalten.“
    Auch das war nicht wahr. Die Kinder hatten den harten Rest eines Brotes trocken verzehrt; Gustel aber hatte für sich keinen Bissen behalten.
    „Weißt du nicht, ob der Vater mit dem Arzt gesprochen hat?“
    „Ich habe gehört, daß der Doktor vielleicht heute noch kommen wird, liebe Mutter.“
    „Gott sei Dank! Dann werde ich gesund!“
    Da kamen Schritte die Stiege herauf, und der Schreiber trat ein. Er ging zu der Kranken, ergriff ihre Hand und fragte:
    „Wie befindest du dich, Mütterchen?“
    „Ich danke dir! Ich bin recht schwach, und das Atmen fällt mir heute noch schwerer als gestern. Kommt der Doktor?“
    „Morgen früh!“
    Er wendete den Kopf zur Seite, damit sie ihm nicht ansehen möge, daß er ihr zuliebe eine Lüge gesagt habe.
    „Morgen erst! Mein Gott, wie hartherzig doch die Menschen sind! Konnte er denn nicht bereits heute kommen? Hast du mit Seidelmann gesprochen?“
    „Ja.“
    „Was sagte er wegen des Gehaltes?“
    „Ich bekomme zehn – zehn Gulden mehr des Monats.“
    Die Unwahrheit wollte ihm nicht über die Lippen; aber durfte er der Kranken die Wahrheit wissen lassen?
    „Zehn Gulden!“ sagte sie, erstaunt die mageren Hände faltend, die nur noch aus Haut und Knochen bestanden. „Zehn Gulden! Wieviel gibt dies das ganze Jahr?“
    „Hundertzwanzig Gulden.“
    „Lieber Jesus, welche Summe! Nicht wahr, dann kaufen wir uns des Sonntags einmal ein Stückchen Butter?“
    Bei dieser Frage traten ihm die Tränen in die Augen.
    „Freilich!“ antwortete er. „Butter und auch Fleisch werden wir dann des Sonntags haben!“
    „Der Seidelmann ist doch nicht so schlimm, wie sie ihn beschreiben. Und was sagte er wegen – wegen –?“
    Sie blickte nach der Tochter hin, und der Schreiber

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