61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
besser, das Schädeldach mit einem senkrecht geführten Ellbogenstoß zu zertrümmern.
Oder ihn zu erschießen.
Plato nahm den Schlüssel.
Er sagte: »Jetzt ziehen Sie Ihre Jacke aus.«
Reacher fragte: »Was?«
»Ziehen Sie Ihre Jacke aus.«
»Wozu?«
»Widersprechen Sie mir?«
Sechs Hände an sechs Maschinenpistolen.
Reacher sagte: »Ich habe Sie etwas gefragt.«
Plato sagte: »Sie und ich gehen in den Untergrund.«
»Wieso ich?«
»Weil Sie schon unten waren. Keiner von uns kennt sich dort aus. Sie sind unser einheimischer Fremdenführer.«
»Dabei kann ich meinen Parka anlassen.«
»Richtig. Aber Sie tragen Zivil – also kein Koppel mit Halfter. Das Wetter ist kalt, und der Reißverschluss Ihrer Jacke ist hochgezogen. Folglich stecken Ihre Pistolen in den Außentaschen. Ich bin ein cleverer Kerl. Folglich habe ich nicht den Wunsch, eine unbekannte Umgebung gemeinsam mit einem bewaffneten Gegner zu erkunden.«
»Ich bin Ihr Gegner?«
»Ich bin ein cleverer Kerl«, wiederholte Plato. »Sicherheitshalber muss ich davon ausgehen, dass jeder mein Feind ist.«
Reacher entgegnete: »Es ist kalt.«
Plato sagte: »Das Grab Ihrer Tochter wird kälter sein.«
Sechs Hände an sechs Maschinenpistolen.
Reacher zog den Reißverschluss seines Parkas auf, ließ ihn von den Schultern gleiten und achtlos zu Boden fallen. Er plumpste schwer auf den Beton. Die Pistolen, die Revolver, die Schachtel Munition, das Handy. Kunststoff, Metall und Pappe. Fünfunddreißig Grad unter null. Windig. Ein Baumwollpullover. Binnen Sekunden zitterte er heftiger als alle anderen.
Plato blieb stehen. Lange kann’s nicht dauern, dachte Reacher, bis der Enteisungswagen zurückkommt und der Fahrer den demolierten Ford beschreibt. Folglich auch nicht lange, bis jemand bei einem Blick die Doppelreihe entlang die beschädigte Hütte entdeckt. Nicht lange, bevor jemand die anderen Hütten durchsucht. Nicht lange, bevor jemand peinliche Fragen zu stellen beginnt.
Zeit, in die Gänge zu kommen.
»Okay, dann los«, sagte er.
3.33 Uhr.
Noch zweiundzwanzig Minuten.
44
Sie gingen zu dem Steingebäude hinüber: sieben Männer in einer Reihe hintereinander, eine merkwürdige kleine Prozession. An der Spitze Plato, ein Meter fünfzig, dann Reacher, fast zwei Meter, danach Platos fünf Kerle, alle etwa auf halber Höhe zwischen diesen beiden Extremen. Platos sechster Mann war noch mit dem Enteisungswagen unterwegs, um Hollands demolierten Wagen zu plündern. Das Steingebäude erhob sich vor ihnen, schien sie zu erwarten, stand gleichgültig im Mondschein, wie es schon fünfzig lange Jahre gestanden hatte. Der Stein, der Dachschiefer, die angedeuteten Fenster, die Kamine, die Verzierungen, die Schnörkel und die Details.
Der Säulenvorbau und die massive Stahltür.
Plato steckte den Schlüssel ins Schloss. Drehte ihn. Das Schloss sprang auf. Dann blieb er stehen und wartete. Reacher wusste, was von ihm erwartet wurde. Er drückte die Klinke bis zu einem Winkel von sechzig Grad herunter: leicht und präzise wie bei einem Tresor. Er zog die Tür ein Stück weit auf. Die Angeln kreischten. Er trat dahinter und stieß sie ganz auf.
Plato, der sich noch immer nicht bewegt hatte, hob eine Hand. Der Mann hinter ihm trat näher, griff tief in seinen Rucksack und brachte eine Stablampe zum Vorschein, die er Plato in die Hand drückte. Der schaltete sie ein, nahm sie in die andere Hand, schnalzte dann mit den Fingern und deutete auf Reacher. Der Kerl hinter ihm nahm seinen Rucksack ab, holte seine Stablampe heraus und gab sie Reacher.
Die Lampe war eine Maglite mit vier Batterien. Aus Ontario, Kalifornien. Praktisch der Goldstandard in Bezug auf Stablampen. Stabiles Metallgehäuse. Zuverlässig und fast unzerstörbar. Reacher knipste sie an. Er ließ den Lichtstrahl durch den Bunkerraum gleiten.
Keine Veränderung.
Alles war noch genauso, wie er und die beiden jetzt toten Männer es vor über viereinhalb Stunden verlassen hatten. Das obere Ende der Wendeltreppe, die beiden aus dem Boden ragenden, aber nicht angeschlossenen Belüftungsrohre. Die abgestandene Luft, die leichte Brise, der Geruch von alten, längst vergessenen Ängsten.
»Nach Ihnen, Mr. Holland«, sagte Plato.
Was Reacher etwas enttäuschte. Den Parka hatte er ausziehen müssen, aber er besaß noch seine Stiefel. Er hatte sich vorgestellt, wie er Plato vorausgehen lassen und ihm in ungefähr dreißig Metern Tiefe den Kopf wegtreten würde.
Aber das hatte Plato offenbar auch
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