61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
fuhren, schätzungsweise mit dreißig, schätzungsweise noch fünf Meilen entfernt.
Seine Mitfahrgelegenheit.
Nahe, aber nicht nahe genug.
Er lehnte in der Kälte an dem demolierten Crown Vic, wartete und beobachtete.
Die Boeing kam als Erste. Sie war zunächst klein und lautlos, wurde dann rasch größer und lauter. Sie flog mit ausgefahrenen Vorflügeln und Klappen, wabernden heißen Düsenstrahlen und ohrenbetäubend laut heulenden Triebwerken, grellen Landescheinwerfern und Blinkleuchten sehr tief an. Ihr Bug war hochgereckt und das Fahrwerk ausgefahren – das tiefer hängende Hauptfahrwerk wie die Fänge eines riesigen Raubvogels, der herabstieß, um sich das demolierte Auto zu greifen. Reacher duckte sich unwillkürlich, als das riesige Flugzeug über ihn hinwegschwebte, und hatte Mühe, sich in der Wirbelschleppe und dem Donnern der Triebwerke auf den Beinen zu halten. Dann richtete er sich wieder auf, drehte sich um und verfolgte über das Wagendach hinweg, wie die Maschine im Sinkflug noch hundert, zweihundert, dreihundert Meter weiterschwebte, bevor sie mit laut kreischenden Reifen landete. Dann kam auch das Bugrad auf, und die Boeing raste weiter die Landebahn entlang, bis die Schubumkehr einsetzte und sie laut donnernd abbremste.
Reacher wandte sich nach Süden um.
Die beiden Fahrzeuge kamen weiter auf ihn zu. Sie bewegten sich langsam und vorsichtig auf der im Mondschein liegenden Landstraße: vorsichtig wegen der Kurven und der holprigen, schneebedeckten Oberfläche, aber unaufhaltsam. Ihre Schein werfer tanzten auf und ab, schwenkten nach links, schwenkten nach rechts. Das vordere Fahrzeug war ein merkwürdiger Lastwagen mit offener Ladefläche, auf der eine große Schlauchtrommel, eine Pumpe in einem Stahlgestell und eine weitere große Schlauchtrommel montiert waren. Der zweite Lastwagen sah in Größe und Ausführung ähnlich aus, aber auf seiner Ladefläche befanden sich ein großer weißer Tank und eine hydraulische Hebebühne, deren Ausleger während der Fahrt arretiert war.
Das erste Fahrzeug war in den Farben der Shell Oil Company lackiert.
Auf seinem Kühlergrill stand ISUZU .
In dem nachts verbreiteten BOLO -Bulletin der Highway Patrol hatte gestanden: ein Pumpenwagen Marke Isuzu Serie N und ein Enteisungswagen, die zwei verschwundene Mitarbeiter von einem Flugplatz östlich von Rapid City haben mitgehen lassen. Vermut lich auf Platos Befehl gestohlen, damit seine Boeing 737 für den anschließenden Rückflug aus den unterirdischen Kerosinreserven betankt werden konnte.
Reacher stieß sich von der Seite des Wagens ab und wartete. Die Scheinwerfer des Pumpenlasters erfassten ihn, und das Fahrzeug wurde langsamer; dann blendete der Fahrer auf, bremste und kam zum Stehen. Eine Sekunde lang war Reacher sich seiner Aufmachung – dunkle Hose, olivgrüne Wollmütze und beiger Parka – bewusst. Die Jacke war alt, aber sie sah noch immer wie ein Dienstparka der Highway Patrol aus. Und der nicht mehr fahrbereite Crown Vic war so geparkt, als sollte er die Zufahrt zur Landebahn sperren. Und nur Polizisten fuhren in Amerika neutrale Crown Vics. Außerdem mussten Autodiebe aus Rapid City darüber informiert sein, dass ein korrupter Cop auf sie wartete, denn nach kurzer Pause fuhr der Pumpenlaster wieder an, und der Enteisungswagen blieb dicht hinter ihm. Reacher hob eine Hand, halb grüßend, halb wie ein Verkehrspolizist, und eine Minute später saß er im warmen Fahrerhaus des Pumpenlasters und fuhr die Landebahn entlang auf das zu, was immer ihn am anderen Ende erwartete.
3.27 Uhr.
Noch achtundzwanzig Minuten.
43
Die Boeing 737 war bis ans Ende der Landebahn gerollt, hatte dort gedreht und stand nun so nah wie es ging an der vorderen Hüttenreihe. Aus der Nähe wirkte sie gigantisch. Ein riesiges Flugzeug, hoch, breit und lang, das vorübergehend in diese abgelegene Gegend eingefallen war, die Gebäude hinter sich weit überragte, zischte, brummte und pulsierte, ein aktives, lebendes Wesen in einer passiven, gefrorenen Landschaft. Seine Triebwerke liefen immer noch lärmend, die Zusammenstoßwarnleuchte unter dem Rumpf blinkte weiter rot, und seine vordere Tür stand weit offen. In der Maschine brannte Licht. Von der Kabine zur Landebahn hinunter führte eine gewöhnliche Leiter aus Aluminium. Im Vergleich zu dem riesigen Flugzeug wirkte sie fragil und kümmerlich.
Von Bord gegangen waren sieben Männer – oder eher sechs Männer und ein Junge. Plato war mit seinen anderthalb Metern
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