617 Grad Celsius
gleiche Telefonnummer: Vogel, Blitz.
Der Chefredakteur des Boulevardblatts – Anna fand es erstaunlich, dass der Zeitungsmann gleich doppelt mit der Durchwahlnummer seines Redaktionsbüros vermerkt war. Für seine Berichterstattung über die schönen Künste war der Blitz nicht gerade berühmt.
Unter S gab es eine Nummer der Staatskanzlei. Aber kein Eintrag Strom, auch der Name Winkler tauchte im Adressbuch nicht auf.
Sämtliche Kontaktpersonen würde die Mordkommission überprüfen müssen. Am liebsten hätte Anna schon jetzt damit begonnen, eine nach der anderen anzurufen, doch sie musste erst abwarten, ob die Angestellte der Kriminalaktenhaltung etwas in den Dateien fand. Im zweiten Schritt würde abzuklären sein, in welchem Verhältnis die jeweilige Person zum Ermordeten gestanden hatte. Erst danach war ein Anruf oder Besuch ratsam.
Ein Blick auf die Armbanduhr: noch vier Minuten bis zur Konferenz. Anna entschied, in der Akademie anzurufen.
Eine gelangweilt klingende Frauenstimme meldete sich. Anna stellte sich vor und sagte: »Es geht um Peter Uhlig.«
»Professor Uhlig ist nicht da. Wir vermissen ihn schon den zweiten Tag. Sie sind von der Kripo, sagten Sie? Mein Gott, er hat doch nichts ausgefressen, oder?«
»Nein, er ist tot.«
»Um Himmels willen!«
»Wissen Sie, ob er Angehörige hat?«
»Nein, tut mir leid.«
»Eine Freundin, eine geschiedene Frau?«
»Das sicher nicht. Ich meine, er ist, er war …«
»Homosexuell?«
»Man erzählt zumindest, er hätte einen Freund. Jemand aus der Modebranche. Ein Boutiquenbesitzer oder so.«
Dorau, überlegte Anna. »Woran hat Herr Uhlig zuletzt gearbeitet?«
»Das weiß ich leider nicht genau. Nur dass es eine Ausstellung im Kunstpalast geben soll. Vielleicht kann ihnen Timo Ziegler weiterhelfen.«
»Wer ist das?«
»Ein Student in Professor Uhligs Meisterklasse, der ihm oft beim Aufbau seiner Arbeiten assistiert.«
Die Angestellte kramte nach Zieglers Adresse und Telefonnummer und gab sie durch.
Anna bedankte sich. Sie rief die Nummer an, doch Ziegler meldete sich nicht.
Sie hatte noch zwei Minuten, deshalb wählte sie die Handynummer von Ritter, dem Kollegen und Teilzeitmakler. Er ging sofort ran. Es klang, als sei er gerade im Auto unterwegs.
»Ich muss den Termin leider absagen«, erklärte Anna. »Die Schützenstraße, verstehst du? Keine Ahnung, wann ich heute rauskomme.«
»Macht nichts«, antwortete Ritter. »Dein Vater will die Wohnung kaufen.«
»Mein Vater?«
»Ungesehen. Er sagt, er vertraut einem Gewerkschaftskollegen. Und er meint, wenn du nicht einziehen willst, ist es wenigstens eine gute Geldanlage. Und da hat er Recht. Klasse Bude, wirklich. Natürlich hätte ich die Besichtigung lieber mit dir gemacht. Der Schampus war schon kalt gestellt. Ich finde, dass man eine Wohnung in angenehmer Atmosphäre erleben sollte. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Sie legte auf. Ihr Vater versuchte mal wieder, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Wie war er nur auf Ritter gekommen?
Als Anna ihre Unterlagen einsammelte, um zur Sitzung zu gehen, fiel ihr Freyers Taschenbuch in die Hände.
Ein gelber Klebezettel zwischen den Blättern. Anna schlug die Stelle auf. Es war der Anfang einer Kurzgeschichte mit dem Titel: Das Zeichen des zerbrochenen Säbels.
Mit Textmarker waren Dialogsätze angestrichen:
»Wo verbirgt ein Weiser einen Kiesel?«
Und der große Mann antwortete mit leiser Stimme: »Am Strand.«
Der kleine Mann nickte und sagte nach kurzem Schweigen: »Wo verbirgt der Weise ein Blatt?«
Und der andere antwortete: »Im Wald.«
29.
Januar 2003
Es schien ihr der heißeste Ort zu sein, an dem sie je gewesen war. Die Jacke ihres Hosenanzugs hatte sie sich um die Hüfte gebunden. Ihre Bluse war schweißnass und mit Bier besudelt – ihr Nebenmann hatte sie angerempelt, als sie gerade trinken wollte. Trotzdem hatte sie großen Spaß.
Die Band rockte und das Publikum ging mit. Offenbar besaß Silverhammer eine regelrechte Fangemeinde. Die Leute standen dicht gedrängt und grölten den Refrain. Ein Typ klopfte Anna auf die Schulter und hielt ihr einen vollen Becher hin – Ersatz für das verschüttete Bier. Er zwinkerte und schickte sich an, ihr etwas ins Ohr zu brüllen, doch sie wandte sich wieder der Bühne zu. Kein Bedarf nach einem Flirt. Sie schaute Sven zu, das genügte.
Mit einer dritten Zugabe und einem ausgedehnten Gitarrensolo verabschiedete sich die Band. So hatte Anna den Mitarbeiter ihres Vaters noch nie
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