617 Grad Celsius
einen Radau? Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?«
Neben Anna baumelte ein mächtiger Schinken, noch immer hin- und herpendelnd.
Sie umarmte die Frau und schämte sich für ihre Angst. Gut, dass niemand sonst den Vorfall mitbekommen hatte. Nicht Sven und auch kein Kollege. Vor allem Lutz durfte nichts über den Abend erfahren.
30.
Mai 2005
Eine Sturmbö knallte neuen Regen gegen die Fenster – unmöglich, sie zu öffnen. Die Luft im Konferenzraum wurde zunehmend stickig. Ela Bach leitete die Sitzung. Die Mitglieder der Mordkommission bewiesen Sitzfleisch und tauschten ihre Erkenntnisse bis ins letzte Detail aus. Anna wusste, dass es so sein musste, aber der Schlafmangel der letzten Nächte machte sie gereizt und ungeduldig.
Sie vermisste Jonas Freyer, den Sachverständigen. Auch Michael Lohse fehlte, offenbar hatte er vor seiner Müdigkeit kapituliert. Verstohlen blätterte Anna in Freyers zerschlissenem Taschenbuch mit den Chesterton-Geschichten und stieß auf die Fortsetzung des Dialogs über die besten Verstecke von Kieseln und Blättern, auf Seite 239, hervorgehoben mit grünem Marker.
»Aber was tut er, wenn da kein Wald ist?«
»Gut, gut«, schrie Flambeau gereizt, »was also tut er?«
»Er lässt einen Wald wachsen, um es darin zu verbergen.«
Anna bemühte sich, der Diskussion im Saal zu folgen. Die Identifizierung der sieben Ukrainer war abgeschlossen, aber die Ermittlung ihrer Angehörigen schritt nur langsam voran. Neben den Illegalen hatten auch reguläre Handwerker an der Sanierung des Hauses mitgearbeitet. Die Befragung dieser Arbeiter hatte keine Anhaltspunkte ergeben. Mehr als fünfzig Anwohner hatten die Kollegen aufgesucht. Kein Zeuge hatte das Auto mit den eingeschalteten Scheinwerfern bestätigt, von dem Frau Küppers aus dem Nachbarhaus am Morgen nach der Explosion berichtet hatte.
Im Kellergang des Unglückshauses war eine Blutspur entdeckt worden, verwischt und angetrocknet – sie deutete darauf hin, dass die Leiche des Videokünstlers vielleicht dort entlanggeschleift worden war.
Dazu passten die Blutspritzer im Loft. Möglicherweise hatte an diesemOrt der Mord an Uhlig stattgefunden. Noch lag das Untersuchungsergebnis nicht vor, die DNA-Analyse der Spuren benötigte rund vierundzwanzig Stunden.
Frank Gehring, der Hausbesitzer und Bauunternehmer, war in Annas Augen entweder unschuldig oder besonders gerissen. In den bislang abgehörten Telefonaten bedauerte er das Schicksal seiner Schwarzarbeiter und klang dabei glaubwürdig. Zudem äußerte er die Furcht, die Versicherungssumme decke den wirtschaftlichen Schaden nicht ab. Wenn das tatsächlich so war, schied die Bereicherungsabsicht als Tatmotiv aus. Seit Jahren schon balancierte Gehring am Rand der Pleite, doch weder war er vorbestraft noch schien er nach bisheriger Kenntnis Kontakte zur Unterwelt zu besitzen.
Am Nachmittag hatten ihn die Kollegen erneut befragt, vor allem nach Peter Uhlig, dem Opfer Nummer acht. Der Videokünstler war ihm offenbar kein Begriff. Anna erwähnte, dass Gehrings Name nicht im Adressbuch des Toten stand.
Eine kurze Pause entstand und sie bemerkte den Blick Ela Bachs, der auf ihr ruhte. Anna interpretierte ihn als Aufforderung und wiederholte ihre Vermutung vom Vormittag: »Die Explosion des Hauses an der Schützenstraße wurde zu dem Zweck herbeigeführt, den Mord an Peter Uhlig zu vertuschen. Deshalb glaube ich, dass Gehring eine Sackgasse ist und wir uns verstärkt um das Umfeld des Kunstprofessors kümmern sollten.«
»Einen vierstöckigen Altbau in die Luft zu sprengen, ist ziemlich viel Aufwand, um eine Leiche zu entsorgen, findet ihr nicht?«, bemäkelte Becker und raufte sich nervös den störrischen Blondschopf.
»Vielleicht gibt es unterschiedliche Motive und Täter«, assistierte ihm Wegmann. »Gehring zündelte mit dem Gas und ein anderer brachte Uhlig um.«
Anna dachte an Chesterton.
Und wenn ein Mann eine Leiche zu verbergen hat, dann schafft er ein Feld von Leichen, sie darin zu verbergen.
Die Kommissariatsleiterin fragte: »Was wissen wir über den Brand in Uhligs Studio?«
Immel vom KK 14 berichtete: »Laut unserem Sachverständigen gab es zunächst eine Verpuffung von verdunstetem Benzin. Wir konnten drei dieser kleinen Blechdinger finden, die Wachs beinhaltet haben, also handelsübliche Teelichter, wie sie offenbar auch in der Schützenstraße verwendet wurden. Stärker als der Druck der Verpuffung hat sich in diesem Fall der Nachbrand ausgewirkt. Es gab reichlich
Weitere Kostenlose Bücher