617 Grad Celsius
überlegen.«
»Du hast ihm den Staatsschutz auf den Hals gehetzt. Neun Jahre ist das her.«
»Jetzt weiß ich, wen du meinst. Ich habe damals gegen Ausländerfeindlichkeit gearbeitet und zahlreiche Initiativen unterstützt. In dem Jahr waren zehn Asylbewerber bei einem Brandanschlag in Lübeck ermordet worden. Nach dem Anschluss der Ex-DDR hat es immer wieder solche Anschläge gegeben. Nicht nur im Osten.«
Anna schätzte ihren Vater als eher konservativen Sozialdemokraten ein. Aber die ausländischen Mitbürger lagen ihm fast so sehr am Herzen wie die Kumpel im Ruhrpott. Kleine Leute eben.
Er ereiferte sich: »Heute sagt Altkanzler Schmidt, es sei ein Fehler gewesen, Gastarbeiter ins Land zu lassen. Die Neonazis dachten schon damals so und haben allein in den Neunzigern bundesweit fast einhundert Menschen ermordet.«
»Reg dich nicht so auf«, sagte Anna.
»Darüber soll ich mich nicht aufregen? Die CDU beklagt im Wahlkampf die mangelnde Integrationsbereitschaft der Ausländer. Ja, was wollen die Oberpatrioten denn? Dass der Imam vor jeder Predigt das Deutschlandlied abspielt? Dass die Moslems den Schweinefleischkonsum ankurbeln? Mit dieser Stimmungsmache wird doch nur die nächste Runde der Ausländerfeindlichkeit eingeläutet!«
»Du übertreibst, Papa. Denk an dein Herz.«
»Was willst du wissen?«
»Uhlig. 1996.«
»Damals hörte ich von den obskuren Verbindungen dieses Kunstprofessors. Und die Kollegen vom Staatsschutz haben entsprechende Funde gemacht. Ich weiß nicht, wie die Sache ausging, aber Leute wie Uhlig sollten ihre Propaganda nicht als staatlich bezahlte Professoren verbreiten dürfen. Auch nicht an einer Kunstakademie. Das ist meine Meinung und ich bin gewählt worden, um sie zu vertreten.«
»Wir haben Uhligs Leiche in den Trümmern der Schützenstraße 18 gefunden. In seiner Wohnung gibt es jede Menge Erinnerungsstücke an Edgar Schwab. Das ist der Musiker, der sich das Leben genommen hat, nachdem du ihn festgenommen hattest.«
»Ach, wirklich? Deine Mutter würde jetzt vermutlich behaupten, ich sei auch an Uhligs Tod schuld. Ist es das, was du andeuten willst?«
»Nein, ich glaub, du hast mich missverstanden.«
Er seufzte und sagte: »Lass uns heute Abend in Ruhe darüber reden, Anna.«
Es waren noch zwanzig Minuten bis zur Schlussbesprechung um halb fünf, die noch längst nicht den Arbeitstag beenden würde, sondern dazu diente, in der Kommission einen einheitlichen Wissenstand herzustellen und die nächsten Aufgaben zu verteilen.
Eigentlich hatte Anna keine Zeit zu verplempern, trotzdem gab sie ihrer Neugier nach und klickte in ihrem Computer auf das Symbol des Einwohnermeldeamts. Ein Fenster öffnete sich, in dem sie sich mit Namen und Passwort einloggte. Dann war sie drin, die Suchmaske erschien.
Sie hackte in die Tastatur: J-o-n-a-s F-r-e-y-e-r.
Der Bildschirm zeigte die zugehörigen Daten: Am Zollhaus 17, 40625 Düsseldorf, geboren am 21.05.1971.
Die Adresse gehörte zum Stadtteil Gerresheim im Osten der Stadt. Das Alter passte.
Zurück zur Suchmaske. Anna gab die Adresse ein und las das Resultat.
Sechs Personen. Vier davon trugen den Nachnamen Zwerschke. Außer Freyer war noch eine Frau gleichen Namens in dem Haus gemeldet. Laut Geburtsdatum war sie jenseits der siebzig.
Offenbar war der Brandsachverständige unverheiratet und teilte seine Wohnung nicht mit einer Freundin – hundertprozentige Gewissheit konnte Anna allerdings nicht haben.
Es klopfte an der Tür – Nora reichte ein Fax der Telekom herein. Die Liste der Namen und Adressen, die zu den Nummern gehörten, die Uhlig zuletzt angerufen hatte. Ein Ladengeschäft namens Dorau an der Königsallee, eine Autowerkstatt in Flingern, die Kunstakademie und schließlich ein gewisser Franz Dorau, wohnhaft in Düsseldorf-Oberkassel auf der anderen Rheinseite. Die Hamburger Nummer gehörte der Redaktion eines Kunstmagazins, die Auslandsvorwahl war die der Republik Südafrika.
Anna nahm die Kopien des Adressbuchs zur Hand, das Kollege Lohse im Loft des Videokünstlers gefunden hatte.
Dorau war unter F wie Franz gelistet. Zwei Nummern: Die eine stimmte mit der Oberkasseler Privatnummer im Telekom-Fax überein, die zweite mit der des Ladens an der Kö. Anna fiel ein, woher sie den Namen Dorau kannte – beim Schaufensterbummel kam sie gelegentlich an der Boutique für Herrenmode vorbei.
Auf der Suche nach Namen, die ihr etwas sagten, blätterte Anna weiter. Unter B fand sie: Blitz, Alex Vogel.
Unter V stand die
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