617 Grad Celsius
Anzug, darunter ein knallrotes T-Shirt. Er war gerade zweiundzwanzig geworden und bemühte sich, abgeklärt zu wirken. Doch Anna konnte er nichts vormachen. Jede Woche änderte Daniel Frisur und Haarfarbe, als stecke er noch in der Pubertät.
Sie lobte: »Deine Bilder sind die schönsten. Mit Abstand.«
»Vielleicht kapieren es jetzt auch die Kritiker.«
»Sicher. Verdient hast du’s.«
»Stell dir vor, dein Onkel will, dass ich ihn porträtiere.«
»Das muss dein Galerist der Presse erzählen. Die Leute werden Schlange stehen, um sich ebenfalls von dir malen zu lassen.«
»Eigentlich habe ich meinen Köpfe-Zyklus abgeschlossen. Ich male neuerdings Blumen. Das Lebewesen als Ornament. Die bunte Oberfläche als Lebenszweck, verstehst du?«
»Passt zu Düsseldorf.«
Annas Vater brachte Prosecco-Nachschub. »Kommt ihr nachher mit zum Essen? Uwe und Friederike laden ein.« Er wandte sich an Daniel. »Der Ministerpräsident lässt fragen, ob du mit uns kommst. Ein Vorstandsmitglied der WestLB wird auch dabei sein. Wäre doch gelacht, wenn wir der Bank nicht ein paar deiner neuen Blütenbilder schmackhaft machen könnten.«
Daniel tat ungerührt, als spiele kommerzieller Erfolg keine Rolle, doch Anna wusste, dass der Junge im Geist bereits seine Honorarforderung formulierte.
»Und du, Anna?«, fragte ihr Vater.
»Nein, danke.«
»Sie mag die WestLB nicht«, erklärte Winkler dem jungen Künstler. »Banken sind der Kommissarin nicht spannend genug. Wusstet ihr übrigens, dass Friederike schon wieder schwanger ist?«
Anna schüttelte den Kopf. Das dritte Kind in acht Jahren. Man brauchte dafür eine Menge Vertrauen in die Zukunft, aber vermutlich war das eine Bedingung, um das Amt des Ministerpräsidenten ausüben zu können.
Auch Lutz sprach in letzter Zeit von einem Baby.
Als sie Sven Arnold entdeckte, spürte sie sofort wieder das Prickeln, das der Mitarbeiter ihres Vaters schon vor vier Jahren in ihr ausgelöst hatte. Der groß gewachsene Kerl mochte um die dreißig sein. Er trug einen dunklen Leinenanzug, sein Haar hing weit über den Kragen. An beiden Ohren blitzten silberne Ringe.
Anna wusste, dass Sven am späten Abend noch einen Auftritt mit seiner Band haben würde, in einem Tanzschuppen im Stadtteil Flingern. Es war lange her, dass sie zuletzt ein Konzert besucht hatte, aber in diesem Moment fand sie, dass ihr ein wenig laute Gitarrenmusik gut tun könnte. Dann fiel ihr ein, dass Lutz es nie erfahren dürfte, wenn sie hinginge.
Sie sprach Sven an: »Seit wann interessierst du dich für Malerei?«
»Hallo, Kommissarin«, antwortete der gut aussehende Kerl und wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Meinst du wirklich, es geht um Kunst, wenn Politiker eine Ausstellung besuchen? Dein Vater will mit Strom über einen Job für mich reden. Staatskanzlei oder so. Bernd meint, ich soll endlich Karriere machen, statt für ihn nur den Fahrer und Büroboten zu spielen.«
»Klingt doch nicht übel.«
Sven neigte seinen Kopf und flüsterte in ihr Ohr: »Ich glaube, der Ministerpräsident mag meine Nase nicht.«
»Oder deine Piercings. Wer sonst in der Staatskanzlei trägt solche Ringe in den Ohren?«
Sven deutete ein Lächeln an. Dann sagte er: »Klar, dein Lutz hätte sicher bessere Chancen. Aber vermutlich kann mir Strom gar nicht so viel bieten, dass ich dafür die Musik an den Nagel hängen würde.«
Das Konzert erwähnte er nicht. Seit Jahren benahm er sich so, als sei die Tochter des Chefs für ihn tabu.
Anna schlenderte weiter und schnappte sich Lachshäppchen von einem Teller. Die Leute um sie herum interessierten sich mehr für Tratsch als für Malerei. Jeder hatte sich in Schale geworfen, stellte Anna fest. Sie selbst trug einen schwarzen Hosenanzug, für den sie nur selten eine Gelegenheit fand.
Ihr fiel auf, wie sehr Daniel umschwärmt wurde. Sie fragte sich, welcher der Herren die sexuelle Orientierung des jungen Künstlers teilte. Dann bemerkte sie ein Grüppchen, das sich ans andere Ende des Raums zurückgezogen hatte. Ihr Vater redete auf seinen Schwager ein. Sven stand fast teilnahmslos daneben. Uwe Strom verschränkte die Arme, als wolle er die Vorschläge des Abgeordneten abwehren. Dabei würdigte er Sven keines Blicks. Ein Einstellungsgespräch sieht anders aus, fand Anna.
Sie tauschte ihr Glas erneut gegen ein volles. Karin sprach sie an: »Leider habe ich meinen Mann nicht dazu bewegen können, zur Eröffnung zu kommen. Daniel hätte sich so gefreut. Er hängt trotz allem
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