617 Grad Celsius
Blitz . Kein anderes Blatt wurde so schrill, wenn es um Verbrechen ging. Keine andere Zeitung hatte solchen Einfluss auf die Leser. Und Alex Vogel stand zweifach in Uhligs ledergebundenem Adressbuch.
»Woher haben Sie meine Nummer?«, fragte Anna.
»Ihre Chefin hat sie mir gegeben.«
»Was wollen Sie?«
»Ein interessanter Fall, den Sie da bearbeiten. Lauter prominente Namen sind darin verwickelt. Peter Uhlig, Daniel Lohse, Uwe Strom. Kunst und Politik, eine aparte Mischung. Und irgendwo mauschelt da auch ein gewisser Bernd Winkler mit, vermute ich mal.«
Anna war sprachlos.
Der Blattmacher fuhr fort: »Wie wär’s, wenn wir uns treffen und ein paar Informationen abklopfen, sozusagen zur gegenseitigen Befriedigung unserer professionellen Neugier.«
»Ich kann Ihnen auch nicht mehr sagen als die Kollegen der Pressestelle«, entgegnete Anna und drückte den Aus-Knopf, bevor sie dem Zeitungsfritzen etwas verriet.
Sie wusste, dass sie in Teufels Küche geraten würde.
37.
Im Präsidium suchte Anna als Erstes den Konferenzraum im vierten Stock auf. Er war verwaist, auf den Tischen die Überreste der letzten Sitzung: Listen mit den Namen der Mitglieder der Mordkommission, kopierte Adressbucheinträge Uhligs.
Am Flipchart hing noch der Papierbogen mit Ela Bachs Handschrift: Peter Uhlig, Blutspuren in der Wohnung, Brandanschlag Studio 7.40–7.55 Uhr.
Anna schob das Video aus Uhligs Loft in den Rekorder und schaltete den Monitor an. Sie vergewisserte sich, dass niemand die Treppe hochkam, und schloss die Tür. Dann betrachtete sie die Aufzeichnung der WDR-Sendung von 1986.
Schwarze Flammen – Leben und Tod eines Musikgenies.
Ein Film von Rebecca Carstensen.
Anna notierte den Namen und griff nach der Fernbedienung. Die ersten fünf Minuten bestanden aus einem Konzertmitschnitt, den sie im schnellen Vorlauf flimmern ließ. Anna hatte nicht die Zeit für eine Dreiviertelstunde Fernsehfilm. Bilder aus Schwabs Kindheit, schwarz-weiße Super-8-Schnipsel aus den Sechzigerjahren, ein Interview mit den Eltern, mit einem Lehrer. Edgar sei schon als Kind sehr pfiffig gewesen. Technisch begabt und höchst musikalisch.
Weiter.
Ein Gig in einer TV-Show, Osiris Trance war geboren. Eine ganze Mädchengeneration schien auf Edgar Schwab abzufahren. Ein sensibel wirkender Typ, eher still, aber trotzdem charismatisch, sobald er auf der Bühne stand. Auslandsauftritte, private Fotos, dann wieder ein Mitschnitt von dem letzten Konzert der Band in der Münchner Olympiahalle.
Anna schaltete auf normales Tempo um: O-Töne von Zeitgenossen über Schwabs morbide Ader. Texte voller Todessehnsucht. Phasen wochenlanger Depression, ausgerechnet zur Zeit der Höchstplatzierung in der Hitparade. Gerede über Drogenmissbrauch nahezu aller Bandmitglieder. Dann der erste Auftritt von Uhlig.
Ein kleiner, blasser Kerl Mitte dreißig, Halbglatze. Der V-Ausschnitt des T-Shirts ließ dichten Brustpelz hervorlugen. Peter Uhlig sagte: »Damals nahm jeder Drogen. Die Plattenfirmen fütterten ihre Stars damit. Aber nie habe ich Edgar mit Heroin gesehen. Nie. Ich wüsste es, wenn er sich etwas gespritzt hätte.«
Annas Handy schrillte. Das Display zeigte eine Durchwahlnummer des Präsidiums. Sie schaltete den Film stumm.
Es war Bruno Wegmann: »Mensch, Anna, wo bleibst du? Wir wollten zum Museum Kunstpalast. Die Uhlig-Ausstellung.«
»Gib mir noch zehn Minuten«, antwortete Anna.
Ton wieder an. Der Film kam zum Höhepunkt. Die Razzia.
Eine rasche Folge abgefilmter Fotos und Schlagzeilen aus Boulevardpresse, Klatschmagazinen, Musikblättern und seriösen Zeitungen: Schwab in Handschellen, Schwab in Großaufnahme beim Einsteigen in den Polizeibulli. Der Prozess. Fans vor dem Gerichtsgebäude. Das Urteil, Schwab fassungslos. Die Bandmitglieder mit Anhang vor dem Knast demonstrierend, ratlos.
Die Meldung des Selbstmords.
Und erneut O-Töne von Zeitzeugen und Familienmitgliedern. Schwabs Mutter gab dem Umfeld die Schuld. Das Milieu, die Gesellschaft. Ein Musikkritiker stellte Schwab in eine Reihe mit Jimi Hendrix und Jim Morrison.
Schließlich wieder Uhlig.
Anna drückte auf Pause und kontrollierte das Treppenhaus. Wenn Schwabs damaliger Lover den Namen ihres Vaters nennen würde, sollte es keiner hören.
Die Luft war rein.
Anna ließ das Band weiterlaufen. Uhlig stand vor Schwabs Grab. Er trug einen schwarzen Anzug, der seine Schultern breit wirken ließ.
»Edgar hat nie Heroin besessen. Polizisten haben ihm das Rauschgift untergeschoben.
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