617 Grad Celsius
blätterte Anna durch den Speicher ihres Handys und wählte noch einmal die Nummer der Museumsverwaltung.
Anna fragte: »Wer wird morgen Abend die Eröffnungsrede halten?«
»Ursprünglich hatten wir auf Professor Uhligs Wunsch den Ministerpräsidenten angefragt. Aber Uwe Strom hat leider abgesagt. Vermutlich wird der Präsident der Akademie einspringen.«
Anna bedankte sich.
Ihr Kollege schloss den Passat auf. »Und?«
»Uwe Strom war vorgesehen.«
»Da sind wir wieder bei Uhligs Verfolgungswahn.«
»Richtig.«
Anna bat Bruno, schon mal einzusteigen. Sie schlenderte ein paar Schritte vom Dienstwagen weg und tippte die Mobilnummer der WDR-Reporterin ins Handy. Dreimal tutete das Freizeichen, dann meldete sich die wohlklingende Frauenstimme.
»Carstensen.«
»Anna Winkler, Kripo Düsseldorf. Ich muss mit Ihnen sprechen. Peter Uhlig ist ermordet worden. Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr, er war der Freund von Edgar Schwab, der sich 1976 das Leben genommen hat. Sie haben Uhlig zehn Jahre später für einen Film interviewt.«
»Daran erinnere ich mich sehr gut, aber ich bin kurz vor dem Abflug nach Tansania.«
Anna vernahm eine Lautsprecherdurchsage im Hintergrund. »Warten Sie, wo sind Sie?«
»Flughafen Düsseldorf. Meine Maschine geht in vierzig Minuten.«
»Das schaffen wir.«
Anna stieg zu Bruno ins Auto. »Zum Flughafen, schnell!«
»Und was machen wir da?«
»Wirst du gleich sehen.«
Eigentlich hätte Anna die Reporterin lieber allein befragt, um den Namen ihres Vaters so lange wie möglich aus den Ermittlungen herauszuhalten. Aber nun ging es nicht anders.
Als Bruno den Passat über den Kennedydamm nach Norden jagte, brummte er: »Ich habe gestern einen schweren Fehler gemacht.«
»Was meinst du?«
»Ich hätte dir nicht erzählen dürfen, wie das mit Odenthals Geständnis gelaufen ist.«
»Beunruhigt es dich, dass der Mord an Daniel im Fall Uhlig eine Rolle spielt?«
»Tut er das wirklich?«
»Keine Angst. Ich werde mein Versprechen halten. Niemand wird von mir erfahren, dass du in dieser Nacht Besuch hattest und zwei Außenstehenden die Vernehmung Odenthals überlassen hast.«
»Danke.«
»Trotzdem sollten wir anfangen, ernst zu nehmen, was Uhligs Lebensgefährte uns gestern erzählt hat.«
»Über Uhligs Verfolgungswahn? Über den Ministerpräsidenten als dunkle Macht?«
»Es geht tatsächlich nicht allein um Uhlig, das Haus und die sieben Bauarbeiter. Die sind nur der Endpunkt einer Kette von Verbrechen.«
»Aber …«
»Wir haben noch einen Mordfall, der seit zwei Jahren ungeklärt ist. Ich rede von Daniel Lohse, aufgehängt, geschächtet und mit seinem eigenen Blut beschmiert. Es wird höchste Zeit, dass wir den Fall neu aufrollen und den Verbindungslinien zum Mord an Uhlig nachspüren.«
»Odenthal …«
»Uhlig wusste es besser. Und dir selbst ist es gestern auch klar geworden, als der Boutiquenbesitzer den Namen Daniel Lohse erwähnte. Daniels Mörder war jemand anderes und er läuft noch immer frei herum.«
»Warum bist du dir da so sicher? Immerhin beruhte das Urteil gegen Odenthal nicht nur auf dem ursprünglichen Geständnis.«
Anna schwieg. Das Abfertigungsgebäude kam in Sicht.
39.
Sie trafen Rebecca Carstensen vor dem Durchgang zum Flugsteig B. Die Frau wartete mit einem abgewetzten, kleinen Rucksack in der Hand und war sichtlich ungeduldig. Sie trug bequeme Reisekleidung: beige Baumwollhose, einen leichten Pullover. Kein Make-up, kein Schmuck außer einem dünnen Goldkettchen. Grau meliertes, gewelltes Haar – Anna schätzte die Fernsehjournalistin auf etwa fünfzig Jahre.
»Ich muss zu meinem Gate«, sagte die Frau und schulterte ihren Rucksack, als wollte sie losgehen.
Anna bat Bruno, dem Bodenpersonal der Fluglinie Bescheid zu geben, dass Frau Carstensen erst in letzter Minute zur Maschine kommen würde. Der Kollege wetzte los.
»Wir können es kurz machen«, begann Anna. »Erzählen Sie mir alles, was Sie über Peter Uhligs Vorwürfe gegen die Polizei wissen.«
»Das findet sich in dem Film, den ich 1986 gemacht habe.«
»Sehr konkret ist Uhlig darin nicht geworden.« Carstensen zögerte. »Sie heißen Anna Winkler?«
»Ja.«
»Verwandt mit dem Landtagsabgeordneten Bernd Winkler?«
»Seine Tochter.«
»Und Sie wollen wirklich wissen, was damals geschah?«
»Wie gesagt, Uhlig ist ermordet worden. Ich gehöre der Mordkommission an und muss wissen, ob die Geschichte von damals eine Rolle spielt. Uhlig scheint sie jedenfalls noch immer
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