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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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obwohl das Grundgesetz es verbietet. Wie im Fall Traube. Saulus (Atommanager) wird zum Paulus (AKW-Gegner) und der Innenminister stempelt ihn zum Terroristen.
    Der Staat ist unersättlich in seiner Kontrollgier. Noch sieben Jahre bis 1984. Orwell ruft.
    18. März 1977
    B. sagt, dass er über Parteiverbindungen günstig an Grundstück und Kredit komme. Wer sagt, Beamte seien langweilig, kennt B. nicht.
    Nächste Woche will er mich in die Schweiz mitnehmen. Drei Tage Urlaub auf Kosten der Partei. Uwe meint, das ginge in Ordnung.
    Die Alpenluft wird uns gut tun.
    28. März 1977
    Die Harmonie, die wir in der Schweiz getankt haben, hat nicht lange gehalten. Laut B. wird in Holzbüttgen ein neues Baugebiet ausgewiesen. Ausgerechnet in dem Kaff, wo K. und M. wohnen.
    B. hat mir wegen der Trinkerei eine Szene gemacht. Lief mir bis aufs Klo hinterher, um mich zu kontrollieren.
    Ich will nicht fort aus der Stadt.
    29. März 1977
    Hasse die Vorstellung, dass B. der Vater ist. Fürchte mich davor, dass M. es wäre. Abtreibung wäre eine Lösung, aber B. würde mich womöglich umbringen.
    Anna konnte nicht mehr weiterlesen. Sie schleuderte das Heft durch den Raum. Blätter flatterten, der Umschlag klatschte gegen eine Wand.
    Es war kurz nach Mitternacht und ihr schwirrte der Kopf. Die Lektüre hatte so viel aufgerührt.
    Anna warf zwei Noctumed ein. Dann las sie auf der Packung, dass die Wirkstoffdosis pro Tablette nur ein Milligramm betrug – Hashemie hatte sie reingelegt und nur die Hälfte verschrieben von dem, was sie aus Bosnien gewöhnt war.
    Sie schluckte drei weitere Pillen hinterher. Für die nächste Packung würde sie einen anderen Arzt aufsuchen.
    Eine Weile nahm Mutters Tagebuch noch ihre Gedanken in Beschlag.
    Ich traue B. alles zu .
    Dann tat das Schlafmittel endlich seine Wirkung.

35.
    Januar 2003
    Der Kollege aus der Kriminalwache stieg vor ihr die Betontreppe hoch. Es war tatsächlich das Hinterhaus an der Neusser Straße, ein ehemaliges Druckereigebäude, in dem Daniel die Dachetage als Wohnung und Studio gemietet hatte. Eine armselige Behausung, kaum beheizbar, aber billig. Der junge Maler hatte Anna im letzten Jahr zur Einweihungsparty eingeladen. Sie erinnerte sich, wie stolz er auf die Bude gewesen war.
    Oben angekommen, streifte auch Anna die Schutzkleidung aus weißem Plastik über.
    Ritter drückte die Tür auf und ließ Anna den Vortritt. Dabei knabberte er an den Spitzen seines Schnurrbarts und vermied es, ihr in die Augen zu blicken.
    Der Raum wirkte wie eine Höhle. Daniel hatte es schick gefunden, an manchen Stellen den Putz von den Ziegelwänden zu schlagen. Die wenigen Möbel waren zum Teil selbst gezimmert. Drei großformatige Arbeiten lehnten an der Wand – Annas erster Blick fiel auf Blüten von überwältigender Farbigkeit.
    Über ihrem Kopf spannten sich Stahlträger, auf denen der offene Dachstuhl ruhte. An einem von ihnen hing ein rot glühender Heizstrahler. Trotzdem waren es hier kaum mehr als sechzehn Grad.
    »Weiter hinten«, sagte Ritter.
    Anna umrundete die Badewanne, vor der sich ein Duschvorhang spannte.
    Der Anblick traf sie wie ein Aufprall gegen eine Mauer aus vollem Lauf.
    Ein menschlicher Körper baumelte an den Füßen aufgehängt vom hintersten Querbalken. Er wirkte klein und dürr und sah aus wie rohes Fleisch, als hätte man ihm die Haut abgezogen. Fliegen umkreisten ihn.
    An der Kehle klaffte ein tiefer Schnitt. Der Kopf war dunkel angelaufen – was nicht aus der Halswunde getropft war, hatte sich in den Adern gestaut.
    Anna begann zu zittern, als sie Daniels Gesichtszüge erkannte.
    Als er ein Kleinkind gewesen war, hatte sie mit ihm wie mit einer Puppe gespielt. Sie war oft sein Babysitter gewesen und er war für sie wie der kleine Bruder, den sie sich immer gewünscht hatte.
    Unter ihm eine Blechdose voller Blut – übergelaufen. In der Pfütze zappelten Fliegen. Die Lache hatte sich bis zur Staffelei ausgedehnt, die unter dem Dachfenster stand.
    Anna nahm den Geruch war. Schwach, aber dennoch kaum erträglich. Die typische Note, die sich in der Kleidung festsetzte und die man nicht mehr losbekam. Der Verwesungsgeruch, der bis in die entlegensten Windungen des Gehirns kroch – bis ans Ende ihrer Tage würde sie wissen, dass er den Tod bedeutete.
    Sie spürte den dringenden Impuls, eins der großen Fenster zu öffnen, aber die Raumtemperatur durfte nicht verändert werden, bevor der Rechtsmediziner den Todeszeitraum bestimmt hatte.
    Der Täter hatte Daniel mit

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