617 Grad Celsius
Mordfällen erwähnt wurde.
Die Obermuftis der Behörde waren sich nicht einig, wie sie die peinliche Geschichte der Öffentlichkeit verkaufen sollten: Ein für Brand- und Sprengstoffdelikte zuständiger Kriminalhauptkommissar hatte mitten in der Stadt ein Haus in die Luft gejagt und in Flingern ein zweites zum Teil abgefackelt.
Sie beschlossen, vorerst nur den Selbstmord des Kollegen zu melden.
Als Anna zwischen zwei Sitzungen Atem schöpfen konnte, besuchte sie ihren Kollegen Wegmann, der sich die Akten zum Mordfall Daniel Lohse besorgt hatte und in seinem Kabuff am Ende des Gangs über Vernehmungsprotokollen, Spurenakten und Vermerken brütete, darauf hoffend, dass ihn ein Detail, das die Mordkommission vor zwei Jahren übersehen hatte, auf die richtige Fährte bringen würde.
Eins davon war möglicherweise die Glasscherbe, die Anna damals unter Daniels Bett entdeckt hatte. Vielleicht stammte sie von einem zweiten Sektglas, das im Streit zu Bruch gegangen und vom Mörder beseitigt worden war.
Auch Bruno Wegmann ließ sich haarklein die Ereignisse in Lohses Haus schildern. Als Anna geendet hatte, schüttelte er den Kopf. »Wie seltsam.«
»Was meinst du?«
»Ein Homohasser, der sich umbringt, indem er sich die Dienstwaffe in den Mund schiebt. Ist der Lauf der Pistole nicht ein Phallussymbol?«
Selbstmord als Oralsex mit schwuler Beinote – Anna musste zugeben, dass ihr diese Assoziation noch nicht gekommen war.
Als sie wieder in ihrem Dienstzimmer saß und der Stress allmählich von ihr abfiel, bemerkte Anna auf dem Schreibtisch die Blätter mit der Mitarbeiterbefragung, die ihr Nora gestern in die Hand gedrückt hatte. Es ging um etwa sechzig Aussagen, die sie in Abstufungen von eins bis sechs bewerten sollte.
So etwas wie Gemeinschaftssinn fehlt hier, jeder denkt nur an sich selbst.
Der Satz traf manchmal zu – Anna setzte ihr Kreuz in eines der mittleren Kästchen.
Die Vorgesetzten setzen sich für unsere Anliegen ein, wenn dies in ihren Möglichkeiten liegt.
Ihr Verhältnis zu Ela konnte kaum besser sein, fand Anna und kreuzte stimmt völlig an.
Bei der nächsten Aussage stutzte Anna. Ich glaube, dass wir auf die Arbeitsergebnisse unserer Behörde/Einrichtung stolz sein können.
Worin bestand denn das Ergebnis ihrer Ermittlungen? Odenthal schmorte im Gefängnis, womöglich unschuldig. Michael Lohse hatte sich eine Kugel in den Kopf gejagt, als sie ihn wegen des Mordes an Uhlig zur Rede gestellt hatte. Stolz konnte sie deshalb nicht empfinden – wann hatte sie zuletzt ein solches Gefühl erlebt?
Vielleicht als ihr Vater zum ersten Mal im Fernsehen interviewt worden war und eine blendende Figur abgegeben hatte. Als sie sich gegen seinen Willen für den Polizeidienst entschieden hatte, um ihm ihre Loyalität zu signalisieren. Wahrscheinlich auch, als sie ihm davon berichtet hatte, dass ihre Versetzung ins KK 11 beschlossene Sache sei. Seitdem hatten sich die Momente des Stolzes rar gemacht.
Ihre Uhr zeigte kurz nach fünf. In den Etagen des Präsidiums war Stille eingekehrt und Anna verspürte das Bedürfnis, Jonas Freyer anzurufen, um ihm zu berichten, was vorgefallen war. Immerhin hatte der Sachverständige häufig mit Michael zusammengearbeitet.
Sie erreichte ihn an seinem Handy. Er klang wie immer gut gelaunt. »Schön, deine Stimme zu hören, Anna. Was machst du gerade?«
»Die Tragödie hat sich zur blutigen Farce entwickelt«, antwortete sie. »Wir haben den Täter. Es war Michael Lohse.«
Zum ersten Mal erlebte Anna, dass Jonas die Sprache wegblieb.
Sie erzählte: »Lohse hat gestanden. Er dachte, das Haus sei unbewohnt. Aber es lief auf Chesterton hinaus. Ein Haufen von Leichen, um einen Mord zu verbergen.«
»Und warum hat er das getan?«
»Eifersucht und Hass. Da hatte sich viel aufgestaut, nehme ich an.«
»Nimmst du an?«
»Der weiteren Befragung hat sich Michael leider entzogen.«
»Geflohen?«
»Suizid.«
Wieder schwieg Jonas.
Anna sagte: »Damit ist er Frau und Sohn nachgefolgt.«
»Klingt nicht nach einem Ende, zu dem man gratulieren könnte.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Wie geht es dir, Anna?«
»Mein Magen brennt und ich weiß nicht, ob es davon kommt, dass ich mich gründlich ausgekotzt habe oder schon wieder hungrig bin. Jedenfalls dachte ich, wir könnten uns vielleicht bei meinem Lieblingsgriechen …«
»Sehr verlockend, aber ich bin gerade in Stuttgart und werde erst morgen zurückkommen.«
»Was machst du in Stuttgart?«
»Rate mal. Ein Feuer in
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