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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Chefredakteur Vogel denken, dem sie gestern einen Korb gegeben hatte.
    Picasso machte Männchen und schabte mit den Pfoten an ihrem Bein, doch Anna hatte nur Augen für das Boulevardblatt.
    Zwei Fotos schmückten den Artikel. Auf dem einen posierte ein etwas arrogant dreinblickender Daniel mit Pinsel und Palette. Das andere zeigte Annas Onkel. Die Unterzeile lautete: Auch Ministerpräsident Strom ließ sich von Daniel Lohse malen . Die Zeitung trug das Datum von heute. Offenbar hatten ihr Vater und Sven sie am späten Abend mitgebracht – vielleicht der Gegenstand der Unterhaltung, die sie im Halbschlaf mitbekommen hatte.
    Anna rannte in den Keller, wo alles lagerte, was sie vor dem Bosnieneinsatz nicht verkauft oder Lutz überlassen hatte. Darunter eine alte Truhe aus dunkler Eiche und mit verwitterten Eisenbeschlägen, die Jo ihr zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Anna wühlte sich durch alte Zeugnisse, Bücher und Wäsche, bis sie fand, wonach sie suchte.
    Ein abgegriffener, brauner Umschlag. Sie zog das Foto hervor: Kurt Essig und der kleine Beach Boy. Der Schnappschuss war ihr Faustpfand.
    Als sie nach oben kam, rumorte ihr Vater in der Küche. Er trug einen seidenen Bademantel und Filzpantoffeln und brühte Kaffee per Hand, dabei eine Melodie pfeifend.
    Anna steckte das Foto in ihren Hosenbund und zog den Pulli darüber.
    »Hallo«, sagte sie. »Hast du schon von Michael gehört?«
    »Schrecklich, ja. Ein alter Kollege aus dem Präsidium rief mich gestern an. In der Zeitung steht noch nichts darüber, soweit ich es gesehen habe.«
    »Dafür meldet der Blätterwald etwas anderes. Die Beamtin, die Odenthals Mitbewohner zur Falschaussage gezwungen haben soll, bin übrigens ich.«
    Winkler schob sich die Zeitung zurecht, als suche er nach Annas Namen. Sein Gesicht verriet Besorgnis. »Warum hast du nicht mit Vogel gesprochen, als er dich um ein Treffen bat?«
    »Woher weißt du das?«
    »Du musst mit diesen Leuten kooperieren, Anna. Es ist ein Geben und ein Nehmen.«
    »Warst du es etwa, der ihm meine Handynummer gegeben hat?«
    »Das stimmt also, was der Blitz schreibt? Die Geschichte mit dem Zeugen und dem widerrufenen Alibi?«
    Anna nickte.
    »Mach dir keine Vorwürfe, Prinzessin. Du hast richtig gehandelt. Odenthal ist ein Monster. Manchmal muss man der Wahrheit auf die Sprünge helfen.«
    »Das sehe ich anders. Wir haben beide unsere dunklen Punkte. Und es ist nichts mehr übrig, was noch für Odenthals Schuld spricht.«
    Winkler wandte sich ab und kramte im Kühlschrank.
    »Ich bitte dich, Papa. Wenn du etwas weißt, was mir weiterhilft, dann sag es mir jetzt.«
    Er nahm kopfschüttelnd Platz, machte eine einladende Geste und sagte: »Du solltest wirklich mehr essen, Anna.«
    Sie sah ihn lange an. Dann drehte sie sich um und ließ die Tür knallen.
    Sie fuhr in die Stadt. Per Handy gab sie ihrem Kollegen Bruno Wegmann Bescheid, dass sie später kommen würde. Er maulte, sie lasse ihn ständig im Stich, doch Anna hatte keine andere Wahl.
    Nach fast vierzigminütiger Fahrt erreichte sie das stuckverzierte Haus im Zooviertel, in dem Odenthal gewohnt hatte, und fand einen Block entfernt einen Parkplatz.
    Mit klopfendem Herzen lief sie zurück und ließ den Blick über die Fenster im Erdgeschoss schweifen. Keine Bewegung hinter den Gardinen.
    Das untere Klingelschild trug nur noch einen Namen: Kurt Essig. Anna drückte den Messingknopf. Der Umschlag mit dem Foto steckte in ihrer Jacke.
    Es war kurz vor halb acht – eine gute Chance, den Lehrer noch zu Hause anzutreffen. Sie wollte Essig davon überzeugen, dass sie ebenfalls an die Unschuld seines ehemaligen Mitbewohners glaubte. Dass Odenthal freigelassen würde, sobald Anna den tatsächlichen Täter präsentierte. Und dass Essig stillhalten musste, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Er durfte seine Vorwürfe nicht wiederholen. Notfalls würde sie wieder Druck ausüben.
    Sie klingelte ein zweites und ein drittes Mal.
    Kein Laut kam aus der Gegensprechanlage.
    Eine dicke Frau im weinroten Anorak rollte einen Einkaufswagen voller Werbezettel heran. Ohne Anna eines Blicks zu würdigen, legte sie ihre Pranke auf sämtliche Knöpfe. Ein Dunst aus Schweiß und muffiger Kleidung wehte in Annas Nase.
    Die Frau plärrte: »Reklame!«
    Mehrfach tönte der Summer. Die Dicke drückte die Tür auf und schmiss einen Packen Zettel auf die Treppe. Den Atem anhaltend, schob sich Anna an ihr vorbei und baute sich vor Essigs Wohnungseingang auf.
    Die Tür fiel ins

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