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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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schlief der Bursche. Er hing an einer Infusion, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Auf dem Tablett neben dem Bett die Reste des Mittagessens.
    »Vielleicht warten Sie besser«, flüsterte die Schwester. »Er hat etwas Fieber.«
    In diesem Moment schlug Jadranko die Augen auf. »Frau Kommissarin?« Mit der freien Hand zupfte er das Laken zurecht, das ihn bedeckte.
    Die Krankenschwester verschränkte die Arme. Dann nickte sie und sagte: »Okay. Aber nicht lange.«
    Sie griff sich das Tablett und verließ das Zimmer.
    »Sie müssen mich schützen, Frau Kom-m-m…«
    »Vor wem?«
    »B-Berislav und seinen Leuten.«
    »Hast du von ihnen das Geld und die Ausweise?«
    »Geklaut. Wollte den F-Frauen die Pässe zurückgeben. Berislav hat sie schlecht b-b-b…«
    »Schlecht behandelt?«
    »J-ja. Sie müssen mich schützen. Berislav kann sich d-denken, dass ich es war.«
    »Was hast du in dem Haus gemacht?«
    »Ich w-wollte mich verstecken.«
    »Erzähl mir alles der Reihe nach.«
    »Am B-Bahnhof waren Leute. Vielleicht B-Berislavs Leute. Also d-dachte ich, verbringst du die Nacht im Hofg-g…«
    »Hofgarten.«
    »War aber zu k-kalt. Dann sah ich das Auto. Der Schlüssel steckte und ich hab überlegt, ob ich damit abhauen soll. Aber K-K-Karre war v-viel zu alt. Kriegst du nur Panne auf der Autobahn mitten in der N-N-Nacht. Bin ich ins Haus hinein. Dachte, dass es unb-b-b…«
    »Unbewohnt ist. Und weiter?«
    Jadranko hustete. Anna reichte ihm die Teetasse und stellte sein Kopfteil höher.
    »Danke. Im K-Keller waren Geräusche. Deshalb bin ich unters D-D-Dach. Mehr weiß ich nicht. Bin erst hier wieder w-w-wach geworden.«
    »Hast du jemanden gesehen?«
    »Nein.«
    »Stimmen gehört?«
    »Nur Geräusche. Scharren und Schritte, d-d-das war alles. Sie müssen mich vor Berislav schützen. Versprechen Sie m-m-m…«
    »Gleich kommen Kollegen, die dafür zuständig sind. Mich interessiert nur noch eine Frage: Kannst du das Auto beschreiben? Erinnerst du dich an das Kennzeichen?«
    »Nummer? Nein, keine Ahnung.«
    »Farbe?«
    »W-w-w…«
    »Weiß?«
    »Nein, w-weiß ich nicht mehr. Aber es war ein Volvo 240 K-K-K…«
    Sie berührte seinen Arm. »Ruhig, Jadranko.«
    »K-Kombi. Wurde bis Anfang der N-Neunziger hergestellt. War aber v-viel älter. Siebziger oder so. Hatte Rundsch-sch-sch…«
    Anna kapierte und sprang auf.
    Jadranko rief ihr hinterher: »Rundscheinwerfer!«
    Auf dem Gang rannte sie beinahe die Schwester über den Haufen, die einen Galgen mit zwei Infusionsflaschen über das Linoleum schob. Aus dem Aufzug traten drei Männer in Jeans und Sweatshirts. Die OK-Beamten.
    Anna deutete in Richtung des Krankenzimmers und eilte in den Lift. Sie scherte sich nicht um das verwunderte Glotzen der Kollegen.
    Die Kabine setzte sich in Bewegung. Mit wackeligen Knien lehnte sich Anna gegen die stählerne Wand und wartete darauf, dass ihr Puls sich wieder beruhigte.

42.
    Sie ließ sich auf den Beifahrersitz sinken und studierte ihr Gesicht im Schminkspiegel. Ein Eintrag im Tagebuch ihrer Mutter ließ sie nicht los: Ich frage mich, ob M. der Vater ist .
    Die Nase, der Mund – sie hatte nie daran gezweifelt, von wem sie ihre Züge geerbt hatte: von Bernd Winkler, dem Mann ihrer Mutter. Doch hatte nicht auch Michael Lohse brünettes Haar und blaue Augen?
    Anna tippte die Nummer des älteren Kollegen in ihr Handy. Nach kurzem Klingeln ging er ran.
    »Wo bist du?«, murmelte sie.
    »Anna?«
    »Ich muss dich etwas fragen.«
    »Morgen komm ich wieder zum Dienst. Mir … mir geht’s heute nicht so gut.«
    Sie drückte die rote Taste, rutschte auf den Fahrersitz und startete. Mit quietschenden Reifen schoss Anna aus der Lücke und steuerte erneut die Autobahn an. Sie summte den Ohrwurm, den sie nicht abschütteln konnte.
    Don’t stop, thinking about tomorrow.
    Sie missachtete das Tempolimit und ließ laut singend ihre Tränen laufen.
    Yesterday’s gone, yesterday’s gone.
    Ausfahrt Kaarst-Holzbüttgen. Sie raste durch das Gewerbegebiet, vorbei an Autohäusern und Tennishallen. Diesmal steuerte sie nicht die Hasselstraße an, sondern folgte dem Bruchweg immer weiter ins Zentrum des Orts. Hinter dem Schulgebäude ging es rechts in die Reihenhaussiedlung an der Edelweißstraße. Zweifarbig geklinkerte Fassaden mit handtuchbreiten Vorgärten, jeweils vier schmale, zweistöckige Häuschen duckten sich zu einem Block aneinander. Anna brauchte nicht lange, um die Reihe zu finden, in der Michael Lohse wohnte. Sie erstreckte sich bis zur

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