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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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schaltete sich die Mobilbox ein. Anna legte auf und versuchte es im Landtagsbüro. Auch dort ging keiner ran.
    Alle Mahnungen ihrer Chefin beiseite fegend, tippte Anna schließlich die Nummer der Staatskanzlei in ihren Apparat. Nur wenige hundert Meter vom Präsidium entfernt erhob sich der gläserne Klotz, in dem ihr Onkel residierte. Anna ließ sich zu Frau Korfmacher durchstellen, seiner Sekretärin.
    Sie verlangte, Uwe Strom zu sprechen. Familienangelegenheit.
    »Tut mir sehr leid, er ist außer Haus«, antwortete Frau Korfmacher.
    Anna kannte sie vom Sehen: eine graue Maus, die zu Hause sieben Katzen hielt und eigentlich die Pensionsgrenze schon überschritten hatte. Sie arbeitete seit Jahrzehnten für Uwe und hatte ihn durch alle Stationen seiner Karriere begleitet.
    »Wann kommt er zurück?«
    »Heute nicht mehr. Aber ich richte ihm aus, dass Sie angerufen haben, Frau Winkler.«
    »Danke.«
    Wieder kein Glück.
    Anna vertrödelte Zeit mit Papierkram. Verschiedene Stellen verlangten Berichte über ihre Zeit in Bosnien. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Das Schwert der Suspendierung schwebte an einem dünnen Faden über ihr.
    Sie sah keine andere Wahl mehr. Sie musste in die Höhle des Löwen.

48.
    Es war kurz nach sechzehn Uhr. Auf der Fahrt in die Innenstadt schabten die Scheibenwischer in Intervallschaltung. Es nieselte schwach und wie Blei lag der graue Himmel über der Stadt.
    Auf Höhe des ehemaligen Luxushotels Breidenbacher Hof, das irgendein Konzern geschluckt hatte und seitdem ewige Baustelle war, bog Anna in Richtung Königsallee ab. Als sie am Taxistand hielt, klingelte ihr Mobiltelefon. Es war Bruno.
    »Warum hast du mir die Geschichte mit Essig nicht erzählt?«
    »Ob Alibi oder nicht, das spielt doch für uns keine Rolle.«
    »Und ob es das tut. Nicht weniger als das falsche Geständnis. Als ich dir erzählte, dass ich mich verantwortlich fühle, wenn Daniels Mörder noch weitere Leute umgebracht hat, sagtest du, dass du mich gut verstehst. So war es doch, oder? Du bist nicht weniger für Odenthals Verurteilung verantwortlich als ich. Wir stecken beide ganz tief mittendrin.«
    »Das gilt für mich von Anfang an. Daniel ist so etwas wie ein kleiner Bruder für mich gewesen.«
    »Trotzdem. Ab jetzt will ich nicht mehr erleben, dass du mir etwas vorenthältst. Keine Geheimnisse, keine Alleingänge, hörst du?«
    »Okay.«
    »Was hat der Lange gesagt?«
    Anna legte den Kopf in den Nacken. Auf dem Dach des Hauses, vor dem sie stand, thronte die Leuchtreklame, die nachts weithin zu erkennen war. Wie ein Zeichen, das deutlich machen sollte, wer über die Meinungen in den Köpfen regierte: Blitz.
    Eine schlechte Schlagzeile reichte aus, um die Polizeiführung in Hysterie zu versetzen.
    »Suspendiert bin ich noch nicht«, antwortete sie. »Aber die Behördenleitung spielt offenbar mit dem Gedanken. Unser Kollege Becker führt die Vorermittlung, stimmt’s?«
    »Ja. Da kommt was auf dich zu. Gerüchte sagen, dass der Innere Dienst wieder eingerichtet werden soll.«
    »Und Thilo Becker rechnet sich Chancen auf den Leiterposten aus, wenn er es schafft, mich abzuservieren?«
    »Was hast du jetzt vor, Anna?«
    »Einen gewissen Chefredakteur besuchen, dessen Name gleich zweimal in Uhligs ledernem Adressbuch verzeichnet ist.«
    »Doch nicht etwa Alex Vogel?«
    »Er steckt irgendwie mit meinem Vater unter einer Decke. Und er will etwas von mir. Vielleicht kann ich mir das zu Nutze machen.«
    »Tu’s nicht!«, warnte Bruno. »Die Presse brennt nur darauf, dich ein zweites Mal in die Pfanne zu hauen.«
    »Wie sagte Churchill? Wenn du dich in die Hölle begibst, darfst du nicht stehen bleiben. Bruno, ich muss da durch.«
    Die Redaktion residierte im zweiten Stock über einer Ladenpassage. Ein Empfangsraum aus grauem Marmor. Die Frau hinter dem Tresen wies Anna den Weg.
    Den Flur schmückten großformatige Fotos hinter Glas. Sie zeigten Männer mit Gewehren und eine karge Gebirgslandschaft, die sich in Brauntönen faltete, durchzogen von Staubfahnen, die ein Geländewagen aufwirbelte. Auf einem Bild posierte ein junger Kerl am Rand einer Schlucht – ein Tattoo, das wie Stacheldraht aussah, umschlang seinen Hals und sein Blick wirkte wie der eines Predigers. Afghanistan, Badachschan, Frühjahr/Herbst 2003, verriet ein kleines Schild.
    Anna passierte eine Glaswand und spähte in ein Großraumbüro, in dem sich kaum jemand aufhielt. Das Vorzimmer des Chefredakteurs befand sich am Ende des Gangs, es war

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