617 Grad Celsius
sein Rolli und die Cordhose von der gleichen Farbe waren wie sein dunkelblondes, seitlich gescheiteltes Haar.
Während Bruno die Fragen stellte, dachte Anna darüber nach, was sie über Daniels Mörder wussten. Es war nicht viel. Das Opfer hatte ihn gekannt und er war kräftig genug, um den jungen Maler in der Nacht zum 31. Januar 2003 an einem Stahlträger in seiner Wohnung aufzuknüpfen.
Kräftig – das traf auf Costa nicht zu, jedoch auf Essig und Odenthal.
Sie selbst hätte es vermutlich nicht geschafft, Daniel hochzuwuchten. Im Gegensatz zu Bruno, der früher im Halbschwergewicht geboxt hatte.
Peter Uhlig wäre nicht stark genug gewesen. Ihr Vater durchaus – vor zwei Jahren war sein Herz noch intakt.
»Sie glauben also nicht mehr, dass dieser Psycho Daniel getötet hat?«, fragte der junge Buchverkäufer, Anna aus ihren Gedanken reißend.
»Wir wollen sicherheitshalber alles noch einmal überprüfen.«
»Dann stimmt es also, was in der Zeitung steht?«
Brunos ratloser Blick suchte Anna.
Costa fuhr fort: »Der Psycho hatte tatsächlich ein Alibi?«
Anna antwortete: »Das sagt nicht viel. Es kann immer noch erlogen sein. Eine Gefälligkeit des Mitbewohners im Nachhinein. Genauso wie einer nicht automatisch der Täter ist, wenn er kein Alibi hat.«
Bruno fragte: »Wer käme außer Odenthal noch in Betracht? Daniel hat geäußert, er fühle sich bedroht. Von wem?«
»Na, von diesem Psycho.«
»Hat er das zu Ihnen gesagt?«
»Nein, aber zu seiner Mutter.«
Mit Blick auf Anna fragte Bruno: »Was genau hat er zu Ihnen gesagt?«
»Na, da sei so ein Kerl, der ihm nachlaufe. Einer, der nicht wisse, ob er schwul oder hetero sei. Nicht der Typ, auf den Daniel stand. Aber er fände die Vorstellung scharf, bei ihm der Erste zu sein. Ein Entjungferungs-Tick, verstehen Sie?« Costa zwinkerte.
Bruno verschränkte die Arme. Er wirkte verlegen.
Der Buchverkäufer fügte hinzu: »Es passte total auf den Psycho, der immer in den Kneipen rumhing, die als Treff für Künstler oder Modeleute gelten. Ich hab doch selbst gesehen, wie sich Odenthal an Daniel ranschleimte.«
»Wer hat sich noch an Daniel rangemacht?«
»Gottchen! Er sah blendend aus und machte keinen Hehl daraus, dass er kein Kostverächter war. Die Motten und das Licht, verstehen Sie?«
Anna fragte: »Was gab es außerdem? Streit, Spannungen …«
»Dieser Uhlig rückte ihm auf die Pelle. Einer der Professoren an der Akademie. Aber das war nichts Sexuelles. Hab ich Ihnen das nicht schon vor zwei Jahren erzählt?«
»Irgendetwas Ungewöhnliches in den Monaten vor Daniels Tod, woran Sie sich vielleicht erst später erinnert haben?«
»Na ja, da gab es diesen Politiker.«
»Wen?«, fragten Bruno und Anna im gleichen Atemzug.
Costa pflückte Fusseln vom Pullover und studierte seine Fußspitzen. »Das war im Herbst, bevor Daniel seine Ausstellung im Kunstverein hatte. Zu der Zeit war er ständig klamm. Aber er war sich sicher, bald den Durchbruch zu schaffen. Er sagte wörtlich: Der muss mich zum größten Künstler des Landes machen, sonst lass ich ihn auffliegen. Daniel war überzeugt davon, dass er seine Schulden zurückzahlen würde. Und das tat er kurz darauf tatsächlich.«
»Nannte er einen Namen?«
»Nur dass es ein hohes Tier in der Politik sei. Einmal war ich bei ihm und da besuchte ihn ein schicker Typ mit Aktenkoffer, über fünfzig und garantiert hetero, den ich schon mal in den Nachrichten gesehen habe. Hinterher meinte Daniel, der Typ sei Landtagsabgeordneter, nicht wirklich ein hohes Tier, oder? Den Namen hab ich vergessen. Und wie eine Erpressung oder so wirkte das Ganze auch nicht. Die beiden haben sich sogar geduzt. Deshalb hab ich nie davon erzählt.«
Anna konnte Bruno ansehen, dass er das Gleiche dachte wie sie.
Weil sie beide kaum etwas gefrühstückt hatten, kehrten sie bei einem Bäcker ein, der drei Häuser weiter belegte Brötchen und Kaffee anbot. Ein selbst geschriebenes Plakat verhieß: Lattemacchiato-Woche, 1 Latte 1 Euro.
Sie trugen ihr Essen und die Macchiato-Gläser zu einem der Stehtische. Anna versuchte, ihre Unruhe zu überspielen, indem sie scherzte: »Der Junge hat mit dir geflirtet. Du hast Chancen, Bruno.«
Der Kollege ging nicht darauf ein. Anna fischte rohen Paprika aus ihrem belegten Croissant. Den Rest verschlang sie schweigend.
Am Nachbartisch diskutierten zwei Anzugträger. Der eine beklagte sich darüber, dass seine Frau mondsüchtig sei. Ob Friseurtermin oder Gartenarbeit, sie richte alles
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