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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bedeckten, waren nicht Betten zu nennen. Zwischen den Ziegeln hatte es hereingeschneit; der Schnee lag fußhoch auf der halbverfaulten Diele. Es war schrecklich!
    Der Kranke konnte sich nicht bewegen; er konnte auch nur langsam und mit Anstrengung sprechen. Er sah fast wie eine Leiche aus: das graue Haar verwirrt und die Wangen eingefallen.
    Als der Alte den Kommenden erkannte, glitt ein Zug der Freude über sein Gesicht.
    „Wilhelm!“ stieß er hervor.
    „Pate, mein lieber Pate! Wie finde ich Sie wieder!“
    Mit diesen Worten trat er an das Bett, um die Hände des Alten zu erfassen. Sie waren schwer und eiskalt.
    Dem Kranken traten dicke Tränen in die Augen. Er war nicht imstande, sie wegzuwischen.
    „Ich wollte, ich wäre tot!“ flüsterte er.
    „Aber bekümmert sich denn niemand um Sie?“
    „Niemand! Das Haus haben sie; nun ist's gut, nun kann ich sterben und verderben!“
    „War denn ein Arzt da?“
    „Zweimal. Er sagte, er könne nichts tun.“
    „Aber wärmere Betten müssen Sie haben!“
    „Man gibt mir keine!“
    „Und Essen, Trinken –?“
    „Wilhelm, ich habe Hunger, großen Hunger!“
    „Herrgott! Gibt man Ihnen nicht genug?“
    „Nein, nicht halb genug!“
    „Ich werde hinuntergehen; ich werde mit der Anna sprechen und mit Ihrem Sohn. Sie müssen –“
    „Nein, nein! Um Gottes willen nicht! Es würde mir nachher nur schlimmer ergehen. Ich weiß, daß ich sterbe; diese paar Tage will ich noch Frieden haben. Aber ehe ich sterbe, möchte ich –“
    Er konnte vor Schluchzen nicht weiterreden. Er sprach überhaupt nicht zusammenhängend, sondern langsam, abgerissen und mit schwerer Zunge. Heilmann zog sein Taschentuch hervor, trocknete dem Alten die Tränen ab und sagte dann:
    „Was möchten Sie denn? Sagen Sie es mir!“
    „Mich einmal satt essen!“
    „Du lieber Gott! Das sollen Sie! Ich gehe gleich!“
    „Halt! Wohin denn?“
    „Zum Fleischer, zum Bäcker. Ich hole ihnen etwas.“
    „Hast du denn Geld?“
    „Ja.“
    „Ich denke, du kommst aus – aus –?“
    Er wollte das böse Wort doch nicht aussprechen.
    „Aus dem Zuchthaus? Ja, von daher komme ich. Aber ich habe doch ein paar Gulden. Ich kann einige Brötchen und ein Stück Wurst bezahlen!“
    „Du Guter! Aber laß dich unten nicht sehen!“
    „Nein. Ich nehme mich in acht!“
    Er ging. Die Augen des Kranken waren mit Gier nach der Treppe gerichtet, bis sich wieder Schritte hören ließen. Heilmann kehrte zurück.
    „Bist du gesehen worden?“ fragte der Pate besorgt.
    „Nein. Ich habe mich in acht genommen. Hier, lieber Pate, ist Wurst. Auch einige Brötchen und ein paar Stückchen Kuchen habe ich mitgebracht. Und da – Sie frieren; Feuer gibt es hier oben nicht; da bin ich zum Kaufmann gegangen und habe mir ein Fläschchen mit einigen Schlucken Schnaps geben lassen. Ich denke, das wird Sie ein wenig warm machen!“
    „Du Guter! Kommst aus dem Zuchthaus und bist besser als mein eigener Sohn!“
    Heilmann sah, mit welcher Gier die Augen des Kranken an den mitgebrachten Sachen hingen, und sagte:
    „Kommen Sie! Ich werde Ihnen zu essen geben!“
    Er begann, den Alten zu füttern. Dieser verschlang beinahe wörtlich die Speisen. Er verzehrte alles. Selbst der Branntwein wurde alle. Dann stieß er einen Seufzer der Befriedigung aus und sagte tränenden Auges:
    „Gott vergelte es dir! Du darfst nicht wiederkommen. Ach, könnte ich mir doch, wenn ich Hunger habe, etwas holen lassen! Hunger tut so weh!“
    „Haben sie denn kein Geld?“
    „Keinen Kreuzer!“
    „Aber Sie haben doch auch niemand, den Sie schicken könnten, selbst wenn Sie Geld hätten!“
    „Der Junge von den Leuten, welche in der Hinterstube wohnen, kommt zuweilen herauf. Er könnte mir gehen.“
    „Nun, da will ich Ihnen etwas herlegen.“
    „Was? Geld?“
    „Ja.“
    „Hast du denn so viel?“
    „Viel ist's nicht. Zehn Gulden habe ich geschenkt erhalten. Da ist der Betrag für das Bahnbillet und für einige Kleinigkeiten davon weg. Ich habe noch fünf Gulden. Zwei davon will ich Ihnen geben.“
    „Aber Wilhelm, du brauchst es doch selber! Hast du Arbeit?“
    „Nein.“
    „Und wirst auch schwer welche finden. Ich kann das Geld nicht annehmen.“
    „Ich gebe es aber gern.“
    „Das weiß ich. Höre, ich will dir etwas sagen. Nimm einmal dort das Zigarrenkästchen, welches auf dem Balken steht. Bring es her!“
    In dem Kästchen steckte ein altes Gesangbuch und eine wenigstens ebenso alte Taschenuhr.
    „Das ist alles, was ich noch

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