Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
lassen Sie es sich nicht wieder einfallen, sich bei mir sehen zu lassen. In diesem Fall bliebe mir nichts anderes übrig, als Sie hinauswerfen zu lassen!“
    „Schön. Ich füge mich diesem Ratschluß aus dem Mund eines Gottes. Adieu, Herr Doktor!“
    „Adieu, Herr Bierfiedler!“
    Der Reporter nickte dem Diener freundlich zu, als er durch das Vorzimmer ging. Drunten vor der Haustür blieb er überlegend stehen.
    „Böse, böse Geschichte!“ murmelteer vor sich hin. „Ich büße einen Teil der mir so notwendigen Einnahme ein. Wie soll ich diesen Ausfall decken? Aber was frage ich nach dem Hunger und der Entbehrung, wenn es gilt, die Göttliche in Schutz zu nehmen! Sie muß bereits angekommen sein. Wo sie nur abgestiegen sein mag? Ich werde mich erkundigen.“ –
    Als Miß Ellen Starton gestern von dem Chefredakteur fortgegangen war, hatte sie eine Droschke genommen, um sich nach der Wohnung des Intendanten fahren zu lassen.
    Dieser saß bei Kaviar und Wein in seinem fast wie ein Damenboudoire ausgestatteten Schreibzimmer. Parfums und Odeurs dufteten, und auch der alte Herr sah aus, als ob er sich zu Tode duften wolle.
    Seine dünne, hagere Gestalt steckte in einem weichen, seidenen Schlafrock. Er griff die Kaviarsemmel mit dem feinsten Handschuh an. Das Gesicht war höchst glatt rasiert; die Zähne, welche sich beim Kauen zeigten, waren zu schön, als daß sie hätten echt sein sollen, und das Haar zeigte jene eigentümliche Fasson, welche schließen läßt, daß es um guten Preis vom Friseur gekauft worden ist.
    Ein Diener in Livree ging ab und zu. Draußen hörte man die leise Silberstimme einer Glocke.
    „Jean, schon wieder jemand!“ sagte der Herr. „Ich bin nicht zu Hause. Auf keinen Fall zu Hause!“
    Jean ging. Es dauerte eine kleine Weile, bis er zurückkehrte. Er machte ein höchst pfiffiges Gesicht.
    „Fortgewiesen natürlich?“ fragte der Intendant.
    „Nein, gnädiger Herr.“
    „Nicht? Aber ich bin ja nicht zu Hause!“
    „Der gnädige Herr werden sehr gern zu Hause sein.“
    Jean sagte dies in einer Art und Weise, welche verraten ließ, daß er seiner Sache sicher sei und seinen Herrn sehr genau kenne.
    „Sehr gern?“ fragte dieser. „Du weißt, daß ich mich zur jetzigen Zeit nie stören lasse.“
    „Oh, eine solche charmante, höchst charmante Störung!“
    „Wieso?“
    „Eine Dame, gnädiger Herr!“
    Da legte der Intendant das Messer zur Seite. Auch er kannte seinen Jean. Dieser hätte es sicher nicht gewagt, ihn mit einem uninteressanten Besucher zu belästigen.
    „Ach so, eine Dame!“ sagte er. „Wer ist sie?“
    „Eine gewisse Miß Ellen Starton.“
    Da fuhr der Intendant von seinem Sessel empor und zupfte unwillkürlich an dem weißseidenen Halstuch, um zu fühlen, ob es tadellos sitze.
    „Die Starton?“ fragte er. „Die Tänzerin?“
    „Ja.“
    „Alle Himmel! Komm her Jean, komm!“
    Der Diener trat bis an den Tisch heran. Sein Herr raunte ihm zu:
    „Du hast sie betrachtet?“
    „Sehr genau.“
    „Mit ihr gesprochen?“
    „Einige Höflichkeiten gewechselt.“
    Die beiden alten Männer machten ganz den Eindruck, als ob zwei lüsterne Faune im Begriff ständen, irgendeinen verliebten Streich auszuführen.
    „Entspricht sie ihrem Ruf?“ fragte der Herr.
    „Mehr als das.“
    „Das sagst du? Der Kenner? Das macht mich mehr als neugierig. Wie ist die Figur?“
    „Etwas über mittel.“
    „Schmächtig?“
    „Prächtig rund ohne voll zu sein. Ein Meisterstück.“
    „Hat sie Büste?“
    „Zum Meißeln!“
    „Hände, Füße?“
    „Wie ein Kind.“
    „Das Haar?“
    „Dunkel, voll, herrlich! Griechischer Knoten.“
    „Also klassisch. Die Augen?“
    „Schwarze Karfunkel.“
    „Mund?“
    „Zum Totküssen.“
    „Stimme?“
    „Wie eine Glocke.“
    „Herein mit ihr! Aber, Jean, ich – ich warne dich!“
    „Bitte, bitte! Ich verstehe nicht, gnädiger Herr.“
    „Du störst uns nicht!“
    „Nein, nein!“
    „Du trittst auf keinen Fall eher ein, als bis ich dir das Zeichen dazu mit der Glocke gegeben habe!“
    „Sehr wohl!“
    „Schön! Hole sie! Doch, vorher noch eins! Wie ist der Eindruck, den sie macht, he? Wird sie zartfühlend, weichherzig, gefügig sein?“
    Der alte erfahrene Diener zuckte die Achsel, zog die dünnen Brauen empor und antwortete:
    „Glaube es kaum.“
    „Also nicht?“
    „Scheint mir kalt und spröde zu sein.“
    „Will es nicht hoffen!“
    „Vielleicht nicht nur kalt, sondern gar streng.“
    „Werde sie dennoch

Weitere Kostenlose Bücher