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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bleiben könne. Auf dem Tisch lag noch der Brief des Waldkönigs mit der Adresse: ‚An den Wagnermeister Hendschel in Obersberg‘. Rasch langte der Musterzeichner danach und steckte ihn in die Tasche. Arndt folgt dieser hastigen, fast ängstlichen Bewegung mit einem leisen Lächeln und sagt dann:
    „Erlauben Sie mir, unsere Unterhaltung auf eine andere Art und Weise zu beginnen, als Sie vielleicht vermuten dürften. Eigentlich hätte ich zuerst Ihnen zu sagen, wer ich bin und was ich zu so ungewöhnlicher Stunde bei Ihnen will; aber ehe ich dies tue, möchte ich vorher wissen, bei wem ich mich befinde. Ich bin nämlich hier im Ort unbekannt. Bitte, Ihren Namen.“
    „Ich heiße Wilhelmi.“
    „Sie sind Musterzeichner, wie ich an Ihrer Arbeit bemerke?“
    „Ja.“
    „Für wen arbeiten Sie?“
    „Für die Firma Seidelmann und Sohn.“
    „So, so! Wieviel verdienen Sie da pro Woche?“
    „Fünf Gulden ist das Höchste. Oft erhalte ich noch weniger und zuweilen auch gar nichts, wie zum Beispiel in dieser Woche.“
    „Warum gar nichts?“
    „Weil meine Arbeit nicht konvenierte. Herr Seidelmann meinte, daß sie nicht originell sei.“
    „O weh! So sind Sie also ohne Bezahlung geblieben?“
    „Ich habe keinen Kreuzer erhalten, obgleich ich doch so notwendig Geld brauche. Sind Sie vielleicht Fabrikant, Herr?“
    Arndt tat, als ob er diese Frage überhört habe, und sagte seinerseits:
    „Wie ich sehe, haben Sie Patienten hier?“
    „Patienten und eine Leiche. Dort das Mädchen ist tot.“
    „Mein Gott! Und kein Geld! Weiß Seidelmann auch von dieser Krankheit?“
    „Er weiß alles und noch mehr.“
    „Und unterstützt Sie nicht?“
    „Er hat mir sogar einen Vorschuß verweigert. Ich habe vier Tage lang nichts gegessen.“
    Da griff Arndt in seine Tasche, zog ein Portefeuille hervor, entnahm demselben einen Kassenschein und reichte denselben hin.
    „Hier nehmen Sie!“ sagte er. „Für Nahrung und Begräbnis.“
    Wilhelmi warf einen Blick auf den Schein und sagte erstaunt:
    „Hundert Gulden! Herr, Sie scherzen!“
    „Nein, es ist mein Ernst.“
    „Hundert Gulden verschenkt man nicht so leicht.“
    „Ich kann diese Summe jedenfalls noch viel leichter verschenken als Sie einen Kreuzer!“
    „Aber wie komme ich dazu?“
    „Weil Sie im Dienst des Waldkönigs stehen.“
    Wilhelmi erschrak.
    „Herr, was sagen Sie! Wo denken Sie hin!“ rief er.
    „Wollen Sie das etwa in Abrede stellen?“
    „Ganz gewiß!“
    „Und doch weiß ich es genau!“
    „Sie irren!“
    „O nein! Grüßen Sie den Wagnermeister Hendschel in Obersberg auch von mir, nachdem Sie ihn vorher von dem Waldkönig gegrüßt haben!“
    Er hatte nämlich die Adresse des Briefes gelesen. Wilhelmi befand sich in einer großen Verlegenheit. Er brachte nichts anderes heraus als die Frage:
    „Herr, wer sind Sie?“
    „Ein Geheimpolizist“, antwortete Arndt.
    Der Musterzeichner entfärbte sich. Er wurde von einer großen Angst ergriffen.
    „Ein Polizist?“ sagte er. „Und Sie kommen zu mir? Ich bin mir keines Grundes bewußt, daß ein Polizist mich nachts um Mitternacht besuchen könnte.“
    „O doch! Ich komme ganz aus demselben Grund zu Ihnen, aus welchem ich nachher auch Ihren Nachbar Schulze besuchen werde. Jetzt begreifen Sie wohl! Hier, sehen Sie sich doch einmal diese Medaille an!“
    Er hielt sie dem Musterzeichner hin, welcher die Inschrift las und nur noch ängstlicher wurde, da er ganz wohl wußte, daß Schulze von dem Waldkönig zuweilen auch als Bote benutzt wurde.
    „Ja, Sie sind Polizist, Herr, und zwar aus der Residenz“, sagte er. „Was wünschen Sie von mir?“
    „Die Wahrheit!“
    „Worüber?“
    „Über den Waldkönig.“
    „Ich weiß nichts von ihm!“
    „Er war soeben bei Ihnen. Nicht?“
    Da setzte sich Wilhelmi, welcher bisher stehen geblieben war, wie ganz matt auf seinen Stuhl nieder und sagte:
    „Das war der Waldkönig nicht.“
    „Wer denn?“
    „Ein guter Freund von mir.“
    „Ganz gewiß! Denn, ich muß natürlich annehmen, daß Sie und der Pascherkönig gute Freunde sind.“
    „Nein, nein! Der Mann, welcher jetzt bei mir war, ist nicht der Waldkönig.“
    „Nicht? Also nur ein Freund von Ihnen?“
    „Ja.“
    „Wohnt er hier im Ort?“
    „Ja.“
    „Wie heißt er?“
    „Warum fragen Sie?“
    „Weil ich zu ihm gehen will, um mich zu erkundigen, weshalb er so unnötigerweise eine Larve aufsetzt, wenn er seinen guten Freund Wilhelmi besucht.“
    Der Musterzeichner wußte weder aus noch ein.

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