63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
gut gemeint ist. Man sprach gestern von Ihnen – wo, das ist für jetzt Nebensache. Sie sind eine Erscheinung, welche nicht gut übersehen werden kann. Man erwähnte Ihre gesellschaftlichen Dienste, Ihr geistiges Können, Ihren Einfluß auf gewisse Kreise, und dabei wurden Sie von einer der hohen Damen ‚Baronin‘ genannt. Dieser Titel wurde angezweifelt. Darf ich fragen, ob mit Recht oder nicht?“
Sie war hochrot geworden. Erst nach einer längeren Pause antwortete sie.
„Wissen Sie, daß Ihre Frage eine Beleidigung enthält?“
„Eine scheinbare nur, gnädige Frau. Nicht jedes Verdienst findet seine Belohnung, und es ist ja Pflicht gewisser Kreise, unbelohnte Verdienste aufzusuchen.“
Das war Balsam auf die soeben geschlagene Wunde. Sie antwortete jetzt in versöhntem Ton:
„Man nennt meinen Mann Baron, weshalb, ist mir unbegreiflich, da er nicht von Adel ist.“
„Aber Sie sind die Tochter einer hervorragenden Familie?“
„Auch mein Vater war nicht eigentlich adelig; er gehörte einem alten Patrizierstamm an.“
Das war eine Unwahrheit; aber Holm nickte verständnisinnig und sagte:
„Nun, das ist so gut wie Adel. Man wird das in Berücksichtigung nehmen, gnädige Frau. Diese Frage mußte ich als Einleitung vorausschicken. Der Tochter eines alten, guten Patrizierhauses darf ich nun auch das Weitere anvertrauen.“
„Bitte, bitte!“ sagte sie, höchst geschmeichelt.
„Es wird Ihnen bekannt sein, daß in unseren hohen und höchsten Kreisen die Kunst ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Man dichtet, man modelliert, man malt, man musiziert, und der Künstler ist bekanntlich weniger starr, wenn es sich um Standesvorurteile handelt. Die Rücksicht für die Kunst geht ihm über alles. Nun handelt es sich hier um eine Dame, welche mit Leidenschaft malt und dieser Leidenschaft –“
„Sie meinen Prinzeß Verona?“ fiel sie schnell ein.
„Bitte! Ich darf keinen Namen nennen. Die betreffende Dame nun hat sich vorgenommen, das Bild der Kleopatra zu schaffen. Gnädige Frau haben doch wohl den Namen Kleopatra bereits gehört?“
„Gewiß! Kleopatra war Königin von Ostindien und besiegte den Kaiser Herodes und auch den Kalifen.“
Holm mußte sich Mühe geben, ein Lachen zu unterdrücken. Er nickte also sehr ernsthaft und fuhr fort:
„Sie war eine der größten Schönheiten, welche es gegeben hat, eine jener charakteristischen Schönheiten, deren Reiz, deren Macht nicht eigentlich in der Harmonie der Gesichtszüge liegt, sondern in dem Geist, der diese Züge bewegt und belebt und aus allen Blicken spricht. Kleopatra ist ein großes, ein gewaltiges Sujet für eine Künstlerin; aber ebenso schwierig und fast unausführbar, weil unsere Gegenden und unsere Zeiten kein ähnliches Gesicht erzeugen wollen.“
Er hielt einige Augenblicke inne, um durch die Spannung, in welche er seine Zuhörerin versetzte, seinen Erfolg dann zu verdoppeln.
„Zu ihrer allerhöchsten Verwunderung“, fuhr er fort, „hat aber die betreffende Dame vor kurzem ein Gesicht entdeckt, welches ganz demjenigen der Kleopatra gleicht: streng, ernst, dennoch mild und lieblich, von dem Widerschein eines tiefen Gemüts durchgeistigt und so doch von einer Hoheit, welche eine geradezu königliche genannt werden muß.“
Wieder hielt er inne, um eine sehr bemerkbare Pause zu machen. Da konnte sie doch nicht schweigen. Sie fragte:
„Aber, mein Herr, warum erzählen Sie das grad mir?“
„Ihnen? Sie erraten das nicht?“
„Nein.“
„Wunderbar! Sie eben sind ja die betreffende Dame.“
„Ich?“ fragte sie im Ton des höchsten Erstaunens.
„Ja, freilich.“
„Unmöglich!“
„Warum unmöglich?“
„Mein Mann spricht mir –“
Sie hielt inne. Ihr Gesicht war wie mit Blut übergossen.
„Nun, was spricht Ihr Mann zu Ihnen?“
„Ich wollte sagen, er spricht mir jede Schönheit ab.“
„Dieser Tor! Ah, Verzeihung, daß ich mir diesen harten unvorsichtigen Ausdruck gestattete! Aber es ist wirklich töricht und blind, ein solches Urteil zu fällen!“
Man sage der häßlichsten Frau, daß sie hübsch sei, und sie wird es glauben; so war es auch hier mit der Frau des einstigen Schneiders. Der weibliche Dünkel berührte sich mit der gesellschaftlichen Einbildung, und so hatte Holm, der kluge Menschenkenner, leichtes Spiel.
„Sie schmeicheln, mein Herr!“ sagte sie.
„O nein! Ich habe nur die Befehle auszurichten, welche mir erteilt worden sind. Weiter tue ich nichts. Ich beklage aber den irre gegangenen
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