63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
nach der Tür, hinter welcher sie verschwunden war, und konnte sich das Rätsel nicht erklären. –
Max Holm war nachdem zu dem Theaterdiener Werner gegangen, um ihn für heut abend zu instruieren. Dann begab er sich nach Hause. Der Vater saß, wie gewöhnlich, schlafend in seinem Stuhl; aber die Schlafstubentür stand offen, jedenfalls damit aus der geheizten Wohnstube ein wenig Wärme hinausdringen möge. Und als Max, seine Schwester da draußen vermutend, hinaustrat, fand er zwar diese letztere, aber zu gleicher Zeit auch – die Amerikanerin. Sie hatten eine Menge Stoff und Zeug vor sich liegen und schienen sich dabei in sehr angeregter Unterhaltung zu befinden.
„Entschuldigung!“ bat er, indem er zurücktreten wollte.
Ellen Starton aber nickte ihm freundlich zu und sagte:
„Warum fliehen Sie uns? Papa schläft. Man darf ihn nicht wecken. Bitte, treten Sie doch näher!“
Jetzt konnte er nicht anders. Er mußte gehorchen. Sie gab ihm das schöne Händchen und fragte:
„Nicht wahr, so muß man sich in Deutschland begrüßen?“
„Nur unter Bekannten!“ stotterte er.
„Ach? Und wir kennen uns nicht?“
Was wollte er sagen? Einer gewöhnlichen, nichtssagenden Antwort schämte er sich, und vielsagend zu sein, das erlaubte er sich nicht. Er schwieg. Die Amerikanerin drohte ihm mit dem Finger und wendete sich wieder der Schwester zu. Er trat an die Kommode und blätterte, um doch etwas zu tun, in den dort liegenden Noten herum. Vielleicht wäre eine peinliche Pause entstanden, wenn Ellen nicht gar so viel über die Arbeit zu fragen und zu sagen gehabt hätte. Aber Hilda war zartfühlend genug, nach einem Vorwand, sich zu entfernen, zu suchen. Und sucht ein weibliches Wesen nach einem Vorwand, so läßt er sich sicher finden.
Als die beiden sich allein befanden, stützte Ellen die beiden Hände auf den Tisch und richtete sich in eine entschlossene Haltung empor.
„Herr Holmers!“ bat sie.
Er wendete sich mit fragendem Blick ihr zu.
„Ich möchte meine vorige Frage wiederholen“, fuhr sie fort. „Kennen wir uns, oder nicht?“
Sie hielt den Blick ihres wunderschönen Auges fest, aber warm auf ihn gerichtet. Sie stand da vor ihm in all ihrer jugendlichen Pracht und Herrlichkeit. Es umstrahlte sie der Glanz einer engelhaften Reinheit. Er hätte vor ihr niederfallen mögen, um sie anzubeten, er, der arme Musikus, sie die Millionärin! Nein! Sie durfte nicht merken, daß er sie mit tausend Herzen und abertausend Leben liebte.
„Ja, wir haben uns gesehen“, antwortete er höflich, aber doch mit fühlbarer Kälte.
„Gesehen haben wir uns“, nickte sie in düsterem Ernst. „Weiter nichts, Herr Holmers?“
„Was sonst?“
„Ich habe Sie nicht nur gesehen, sondern ich habe Sie auch gehört. Kennen Sie den Klang Ihrer Violine? Kennen Sie die Macht Ihrer brillanten Phantasien? Pah, Sie mögen recht haben, wir haben uns gesehen.“
Ihre Worte schnitten ihm tief in die Seele ein. Aber er suchte nach einem Grund, stark zu bleiben, und er fand ihn. Er sagte:
„Ich habe Sie gesehen, nur gesehen, nie aber gehört.“
Sie war ihm ja so unnahbar gewesen. Er hatte nie ein Wort mit ihr sprechen können.
Ihre Brauen zogen sich ein wenig empor. Sie schüttelte den Kopf, als ob sie ihn nicht verstehe.
„Nur gesehen haben Sie mich?“ fragte sie.
„Leider!“
„Nun wohl! Tausende haben mir gesagt, daß sie mich nicht bloß gesehen haben. Ist meine Kunst nur eine Kunst für das Auge? Kann die Kunst überhaupt nur für einen besonderen Sinn vorhanden sein? Hat sie nicht ihre tiefsten Wurzeln in der Seele, im Gemüt, und reift sie nicht ihre besten Früchte eben auch wieder für das Herz, für das Gemüt? Sie haben mich nur gesehen. Sie haben mich nicht verstanden. Sie waren mir der von Gott begnadete Künstler, und ich war für Sie die – Ballettänzerin.“
„Miß Ellen!“
„O bitte!“
„Nein, lassen Sie mich sprechen! Ich hörte, daß Sie nicht tanzen um des schnöden Gewinnes willen. Man sagte mir, Sie tanzten, getrieben von der Götterkraft des Genies. Und nun –“
„Was?“
„Nun treten Sie doch für Geld auf!“
„Wer sagt Ihnen das?“
„Würden Sie sonst hier auf dem Kontinent erscheinen?“
Sie senkte die Wimper. Ihre Wangen waren bleich geworden. Und als sie das Auge wieder erhob, glänzte es in feuchtem Schimmer.
„Wollen Sie mich deshalb verurteilen?“ fragte sie. „Weshalb geigten Sie? Weshalb kamen Sie nach den Vereinigten Staaten? Nicht um Geld zu
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