Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes

63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes

Titel: 63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
in der Weltweisheit einzuführen. Vom Immanuel Kant.“
    „O weh!“ lachte Bertram.
    „Diese Sachen lesen Sie?“
    „Ich studiere sie sogar.“
    „Und ich hielt Sie vorhin für ungelehrig! Was mich betrifft, so weiß ich ganz und gar nicht, was ich unter diesen vier syllogistischen Figuren zu verstehen habe; auch weiß ich nicht, was eine negative Größe ist, mag es auch gar nicht erfahren. Ich interessiere mich mehr für – ah, wie steht es mit dem zweiten Band Ihrer ‚Heimats-, Tropen- und Wüstenbilder‘? Ist er begonnen?“
    „Beinahe fertig.“
    „Schön. Diese Bilder sind mir weit sympathischer als die syllogistischen Figuren. Und, da fällt mir ein: ich habe Ihnen doch vorgestern ein Thema gegeben. Haben Sie daran gedacht?“
    „Hm! Ich habe es wieder vergessen.“
    Sie machte ein erstauntes Gesichtchen und sagte in einem sehr ernsten, verweisenden Ton:
    „Das hätte ich allerdings nicht gedacht. Ich werde nachdenken, wie ich Sie zu bestrafen habe. Also, das ganze Sujet haben Sie vergessen?“
    „Das ganze! Leider!“
    „Nun, ich wollte ein Lied zum Komponieren.“
    „Darauf besinne ich mich.“
    „Nur drei Strophen sollte es haben.“
    „Auch das weiß ich.“
    „Alle drei wollten ähnlich anfangen und auch einen gleichen Refrain haben. Wissen Sie, das macht sich besser.“
    „Gewiß. Es ist symmetrischer.“
    „Ich sagte Ihnen auch, welchen Refrain ich wünschte.“
    „Und grad das ist mir entfallen!“
    „Die Hauptsache, grad die Hauptsache.“
    „Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich zu erinnern.“
    „Und wirklich vergebens?“
    „Hm! Es hat in meinem Gedächtnis ein wenig getagt; aber ich kann nicht behaupten, ob ich mich irre oder nicht. Vielleicht ist mir etwas Falsches eingefallen.“
    „Nun, wie war der Refrain der drei Strophen?“
    „Ich glaube, es war so: Spielst du vielleicht, schielst du vielleicht und stiehlst du vielleicht?“
    Da schlug sie die Hände zusammen und sagte im Ton gut gespielter Entrüstung:
    „Welch ein Mensch! Einen Refrain auf spielst, schielst und stiehlst. Und das soll ich komponieren?“
    „Ich glaubte wirklich, es sei so gewesen.“
    „Was denken Sie! Ich muß Ihrem Gedächtnisse wirklich zu Hilfe kommen. Der Refrain sollte bei allen drei Strophen lauten: Liebst du vielleicht.“
    „Richtig, richtig! Ah, und darauf konnte ich mich beim allerbesten Willen nicht wieder besinnen!“
    „Unbegreiflich! Auch erbat ich mir das Gedicht so bald wie möglich, mein Herr Hadschi Omanah!“
    „Ich sagte zu, in sechs Wochen fertig zu sein.“
    „Sechs Wochen? Heut, heut wollten Sie mir es geben. Ich komme ja grad deshalb zu Ihnen.“
    „Das Gedicht wollen Sie?“
    „Jawohl.“
    „Ich denke, Sie kommen, um mich zu einem Spazierritt abzuholen! So kann man sich täuschen!“
    „Der Spazierritt sollte die Belohnung für das Gedicht sein. Nun es nicht fertig ist, werden Sie daheim bleiben müssen!“
    „O bitte, nicht gar zu streng!“
    „Wie denn sonst? Euch Dichter darf man nicht verziehen.“
    „Nun, so will ich es lieber wagen –“
    „Was?“
    „Ich habe mit ihrem Refrain allerdings einen Versuch gemacht. Ich glaube aber leider, daß er mißlungen ist.“
    „Sie haben das Gedicht fertig?“
    „Ja.“
    „Wo ist es! Schnell, schnell!“
    „Bitte, lassen Sie mich lesen!“
    Er zog unter seinen Schreibereien einen Zettel hervor und las:
    „Hast du geseh'n auf grüner Au
Sich öffnen leis der Knospe Pracht,
Wenn schimmernd im brillant'nen Tau,
Im Osten Strahl um Strahl erwacht.
Was mag das für ein Falter sein,
Der fächelnd um die Halde streicht?
Lieb Röselein, lieb Röselein,
O sag, o sag, liebst du vielleicht?“
    „Sehr schön, sehr schön!“ sagte Fanny. „Das ist es ja, was ich mir gewünscht habe. Bitte, weiter!“
    Sie nickte ihm aufmunternd zu, und er fuhr fort:
    „Hast du gehört im grünen Haag
Der Nachtigall bezaubernd Lied,
Wenn sich zur Rüste neigt der Tag
Und Licht um Licht im West verglüht?
Was mag das für ein Nestchen sein,
Um das der kleine Sänger streift?
Lieb Vögelein, lieb Vögelein,
O sag, o sag, liebst du vielleicht?“
    „Prächtig!“ rief sie, in die Hände klatschend. „Das war erst die Rose und dann die Nachtigall. Das sind natürlich nur die Analogien. Nun aber kommt das Richtige.“
    „Was?“
    „Hm! Man kennt euch Dichter nur zu gut. Erst die letzte Strophe bringt das, was ihr eigentlich sagen wollt.“
    „Nun, was will ich hier sagen?“
    „Sagen nicht, sondern fragen.“
    „Aber

Weitere Kostenlose Bücher