63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
was?“
„Liebst du vielleicht! Was denn anderes! Bitte, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Das Gedicht ist sehr gut entworfen, und ich bin sicher, daß die letzte Strophe ebenso meinen Beifall finden wird, wie das Vorhergehende. Also lesen Sie nur immer weiter, Herr Bertram.“
Er rezitierte, ihrer Aufforderung gemäß, noch die Strophe:
„Hast du gefühlt in tiefer Brust
Des Herzens Klopfen, wenn ein Arm
Sich halb bewußt, halb unbewußt
Um dich gelegt so treu, so warm?
Was mag das für ein Auge sein,
Dess' Blick zu dir herniedersteigt.
Lieb Herzelein, lieb Herzelein,
O sag, o sag, liebst du vielleicht?“
„Ich dachte es mir“, bestätigte sie. „Erst die Rose, dann die Nachtigall, und nun das Herz. So mußte es kommen.“
„Also sind Sie zufrieden?“
„Hm. Eigentlich nicht.“
„Was haben Sie zu tadeln, gnädiges Fräulein?“
„Sie fragen immer: Liebst du vielleicht?“
„Aber das ist ja die Aufgabe, welche Sie mir erteilten!“
„Gewiß; aber so streng dürfen Sie sich doch nicht an sie halten: Sie dürfen doch nicht bloß fragen, sondern Sie müssen ja auch antworten.“
„Ich wüßte wirklich nicht, welche Antwort ich in aller Geschwindigkeit geben solle.“
„Was das betrifft, so muß ein Dichter allwissend sein. Das Genie darf eben nie in Verlegenheit kommen.“
„Ganz richtig, das Genie! Aber – ich!“
„Hm. Sie halten sich also für –“
„Für ein Genie – nicht.“
„Das freut mich.“
„Daß ich kein Genie bin? Wirklich?“
„Nein. Es freut mich, daß Sie sich für kein Genie halten. Sie sind bescheiden und das liebe ich. Übrigens will ich Ihnen sagen, daß ich mit Ihrem Gedicht sehr zufrieden bin. Ich bin sehr geneigt, Ihnen eine kleine Anerkennung dafür zu widmen. Nur fällt mir leider nicht einmal in der Geschwindigkeit ein, wie ich das anfangen soll.“
„Oh, ich wüßte Rat, gnädiges Fräulein.“
„Was?“
„Er ist endlich herunter.“
„Wer?“
„Der da.“
Er deutete auf den Handschuh, den sie ausgezogen hatte. Sie schlug ein wohltönendes Lachen auf und sagte:
„Ich brauche ihn ja noch!“
„Oh, ich mag ihn ja gar nicht!“
„Nicht? Ich denke doch!“
„Nein, ich mag ihn wirklich nicht; ich will überhaupt nichts haben, gar nichts, sondern ich will lieber geben.“
„Was denn?“
„Das.“
Er zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie mehrere Male. Sie errötete ein wenig, sagte aber doch scherzend:
„Ich glaube, Sie fangen an, gelehrig zu werden.“
„Ich habe mir gelobt, mir Mühe zu geben.“
„Aber doch nicht mit mir!“
„Ist das verboten?“
„Gewiß! Was würde Ihre ‚Angebetete‘ dazu sagen!“
„Oh, die ist auf alle Fälle mit Ihnen einverstanden.“
„Das will ich doch noch dahingestellt sein lassen. Aber, bleiben wir ernsthaft! Wollen Sir mir das Gedicht lassen?“
„Gern.“
„Ich darf es in Musik setzen?“
„Tun Sie damit, was Ihnen beliebt. Sie können es meinetwegen ins Feuer werfen und verbrennen.“
„Nein, das tue ich nun freilich nicht. Ich finde, daß es melodiös ist und sich leicht komponieren lassen wird.“
„Dann singen Sie es mir vor.“
„Gewiß. Ich muß doch Ihr Urteil hören!“
„Wann ungefähr wird das sein?“
„Ich fange noch heute an.“
„Und werden auch heute noch fertig?“
„Vielleicht.“
„Nein, sondern gewiß. Ich weiß, wie schnell Sie arbeiten.“
„Nun, es ist möglich, daß ich noch fertig werde. Also, wollen Sie es dann gleich hören?“
„Wenn möglich heute noch.“
„So kommen Sie heute abend.“
„Ich danke.“
„O nein, ich habe zu danken. Sie sollen mein Beschützer sein.“
„Wieso?“
„Weil ich ohne Sie ganz allein sein würde. Papa und Mama gehen in das Theater. Gehen Sie auch? Dann dispensiere ich Sie allerdings.“
„Nein. Ich habe den Freischütz bereits im vorigen Monat gesehen, gnädiges Fräulein.“
„Ich meine nicht das Hof-, sondern das Residenztheater. Die Eltern wollen sehen, welche von den beiden Tänzerinnen die andere besiegen wird.“
„Ich mag kein Ballett sehen.“
„Ich auch nicht. Darum bat ich, zu Hause bleiben zu dürfen. Nun kommen Sie zu mir. Das ist viel besser als diese Königin der Nacht. Nicht?“
„O gewiß! Ich bin doch so gern, so gern bei Ihnen.“
„Noch lieber aber bei der – Angebeteten!“
„Lieber nicht, sondern gerade und genauso lieb. Doch, man ruft unten. Das Pferd ist gesattelt.“
„Schön. Also das Gedicht nehme ich mit?“
„Ja.“
Sie faltete
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